Die Hüterin des Evangeliums
wegen der Beerdigung, Meitingerin ...«
»Darüber möchte ich im Moment nicht sprechen«, unterbrach sie ihn rasch.
Er runzelte die Stirn. »Der Verstorbene gehört in geweihte Erde. Es ist Eure Pflicht ...«
»Natürlich ist es das. Ich würde Meitinger niemals ein anständiges Begräbnis verwehren«, protestierte sie schwach. »Es ist nur ...«, sie biss sich auf die Unterlippe, weil sie nicht wusste, wie sie erklären sollte, dass Titus verschwunden war. Doch unter dem argwöhnischen Blick des Zunftmeisters entschied sie sich für die Wahrheit: »Der Schwäher ist abgereistund noch nicht zurück. Ohne ihn möchte ich keine Verabredungen in einer so wichtigen Angelegenheit treffen.«
Überraschenderweise schien Bäumler erleichtert. Er stieß die Luft aus und schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln. »Das ist es also, was Euch Sorge bereitet. Ich hab doch gleich gemerkt, dass Ihr auffallend verschlossen seid, Meitingerin. Nun, grämt Euch nicht. Titus wird schon heimkommen. Er wird halt in seiner Trauer ein wenig über die Stränge schlagen, das müsst Ihr verstehen, auch wenn Ihr eine Frau seid.«
Sie begleitete ihren Gast gemessenen Schrittes zur Tür, wo sie ihm die Hand zum Abschied reichte, um ihn in die graue Abenddämmerung zu entlassen. »Ich danke Euch für Eure Unterstützung, Meister Bäumler.«
Er nickte zuversichtlich und ging, die Kladden mit der Buchhaltung Severin Meitingers unter dem Arm, seines Weges.
Seufzend lehnte Christiane ihre vor Verwirrung glühende Stirn gegen die kühlen Beschläge des Tors. Es gab so vieles zu bedenken und zu erledigen. Wie sollte sie nur in der neuen Situation ihren Mann stehen? Niemand hatte sie je darauf vorbereitet, eine Druckerei zu führen, am allerwenigsten ihr Gatte. Dann war da noch die Sache mit den angeblichen Fälschungen, deren Aufklärung nun ebenso auf ihr lastete wie Antons drohende Entlassung; auch musste sie sich damit auseinandersetzen, ob sie sich nach einem anderen Gesellen als Karl umschauen sollte. Was würde Titus überhaupt davon halten, dass sie sein Lebenswerk übernahm? Ausgerechnet die zweite Frau seines Sohnes, von der er niemals sonderlich viel gehalten hatte. Unwillkürlich wallte Zorn in ihr auf, weil sie sich von Severin im Stich gelassen fühlte.
Die Treppe in das Gewölbe des Hauses übte plötzlich eine magische Anziehungskraft auf Christiane aus. Severins Weinkeller fiel ihr ein. Nun gehörten die Fässer ihr, und sie durfte nach Herzenslust jeden Tropfen probieren, nach dem siegelüstete. Was für eine merkwürdige Vorstellung, etwas tun zu dürfen, ohne um Erlaubnis zu bitten oder einen Tadel befürchten zu müssen, wenn sie trotz eines Verbots ihren Willen durchsetzte. Dieser neue Aspekt ihres Lebens gehörte gefeiert – ein Schoppen von Severins Lieblingsriesling war dafür gerade recht.
Christiane lauschte. War sie für eine Weile abkömmlich? Martha war gut versorgt, wahrscheinlich schlief sie gerade. Die Hebamme hatte darüber hinaus eine Kinderfrau herbeigeschafft, die sich um den kleinen Johannes kümmerte. Die Magd hantierte wie stets in der Küche mit den Töpfen, und aus der Werkstatt drang das vertraute Klappern der Pressen an Christianes Ohr. Es war die beste Gelegenheit, den Weinkeller einer gewissen Inspektion zu unterziehen. Also raffte sie kurzerhand die Röcke und stieg mit leichtem Schritt in den Untergrund.
Modrige Dunkelheit empfing sie. In ihrer Aufregung, etwas Neues und bislang Unerlaubtes zu tun, hatte sie versäumt, eine Kerze mitzuführen. Die Laterne, die Severin üblicherweise entzündet hatte, sobald sich Besucher ankündigten, war natürlich erloschen. Doch Christiane wollte nicht umkehren und tastete sich entschlossen voran. Durch ein Oberlicht fiel gerade so viel Helligkeit, dass sie die Umrisse der Fässer erkennen konnte und sich nicht andauernd den Knöchel an irgendwelchen Gegenständen stieß.
Christianes Finger glitten das brüchige Mauerwerk entlang und ertasteten das Bord mit den Karaffen. Ein Gefäß gefunden zu haben, war schon einmal gut. Zufrieden wandte sie sich den Fässern zu. Sie konnte sich zwar nicht genau erinnern, wo der wohlschmeckende Riesling lagerte, aber ein anderer Tropfen war sicher auch eine Kostprobe wert. Severin hatte seinen Weinkeller wie einen Schatz behandelt, darin hütete er gewiss keinen Fusel. Sie hielt den Krug unter den erstbestenHahn, drehte erwartungsvoll die Spindel und schloss mit sich selbst eine Wette ab, ob eine goldene oder rote
Weitere Kostenlose Bücher