Die Hüterin des Evangeliums
ihr Besuch gegangen war und den Weg zu ihrem Elternhaus einschlug. Vielleichtwürde dieser Vorsprung ein wenig Licht ins Dunkel bringen.
Bernhard Ditmold reichte ihr unvermittelt den Beutel mit den Münzen. »Nehmt dies. Es gehört Euch, Meitingerin.«
Sie fühlte das Gewicht der einhundert Gulden in ihrer Hand und wunderte sich, wie leicht es im Verhältnis zum Wert war.
Da forderte Wolfgang Delius plötzlich: »Dann würden wir gerne noch mit der Witwe des Dichters Sebastian Rehm sprechen. Ist Eure Cousine wohlauf und so weit wieder hergestellt, dass sie meinen Freund und mich empfangen würde?«
Ihr Herz zog sich zusammen. Hatten die beiden Fremden vielleicht mehr in Erfahrung gebracht, als sie zugaben? Christiane fiel ein, dass der Verleger aus Frankfurt bereits bei seinem ersten Besuch in diesem Haus auf ein Gespräch mit der Rehmin ausgewesen war. Aber da hatte er bereits von Severins Tod gewusst und – möglicherweise Kenntnisse erlangt, die nicht zu ihrem Andenken an den Freund passten. Du darfst nicht hinter jedem und allem Feindschaft und Verschwörung vermuten, warnte die innere Stimme. Doch Christiane verdrängte sie erneut.
»Sie ist wohlauf, aber ich weiß nicht, ob sich meine Cousine einer Befragung durch Euch gewachsen fühlt«, erwiderte sie langsam. »Ich werde mich erkundigen. Bitte wartet hier. Möchtet Ihr nicht vielleicht doch einen Becher Apfelmost zur Erfrischung?«
Ihre Besucher schüttelten einvernehmlich die Köpfe. Wahrscheinlich nahmen sie an, die gewünschte Person umgehend sprechen zu können. Tatsächlich mussten die Herren dann den Glockenschlag zur nächsten Viertelstunde abwarten, bevor Christiane mit Sebastian Rehms Witwe an der Seite in die Stube zurückkehrte. Martha war bleich im Gesicht, was, wie Christiane sehr wohl wusste, mittlerweile wohl weniger die Folge der Fehlgeburt war, sondern von den dramatischen Entdeckungendieser Nacht herrührte. Die Gedanken kreisten ebenso durch Marthas Hirn wie durch ihr eigenes, mit dem Unterschied freilich, dass ihrer Cousine vor Verzweiflung schwindelte, während Christiane zur Lösung der offenen Fragen beizutragen versuchte. Tatkraft war in diesem Fall wohltuender als Ratlosigkeit.
Obwohl sie sich einverstanden erklärt hatte, mit den beiden Fremden zu sprechen, schien Martha angesichts der Gäste von Verlegenheit überwältigt zu werden. Stumm versank sie in einem Knicks, den Christiane als viel zu unterwürfig empfand. Energisch griff sie nach Marthas Ellenbogen und schob ihre Cousine auf einen Stuhl, so dass diese sich in Augenhöhe mit den Männern befand, die sich ebenfalls wieder setzten.
»Es ist sehr freundlich von Euch, unserer Bitte zu folgen«, hob Wolfgang Delius an, und Christiane fiel auf, dass sein Ton viel sanfter war als bei der Unterhaltung mit ihr. Er nannte seinen Namen und fügte hinzu: »Erinnert Ihr Euch an mich?«
Martha errötete. »Natürlich. Wie könnte ich vergessen, wer mein Retter war? Verzeiht, dass ich Euch noch nicht gedankt habe. Es ist so viel geschehen in der Zwischenzeit, dass mir der Kopf schwirrt und ...«, sie spürte Christianes warnenden Blick und verstummte unverzüglich.
Delius sah verwundert zwischen den beiden Cousinen hin und her, während sein Freund interessiert den Kopf hob. Als das betretene Schweigen peinlich zu werden begann, wandte sich Delius wieder an Martha: »Mein Beruf als Verleger führte mich nach Augsburg. Ich bin hier, weil ich Eurem Gemahl einen Besuch abstatten wollte. Es ist sehr traurig, dass er nicht mehr unter uns weilt ...«, er brach ab, lauschte dem Nachhall seiner Worte, als stelle er auf diese Weise die stumme Frage nach Sebastians Todesumständen.
»Der Verlust schmerzt uns alle«, beendete Christiane energisch das Schweigen.
»Sein Tod kam recht plötzlich, nicht wahr?« Wolfgang Delius sah nicht Christiane an, sondern blickte eindringlich zu Martha. »Verzeiht meine Frage, aber es ist keine bloße Neugier, sondern ein tiefes, persönliches Interesse: Woran ist Euer Gemahl gestorben?«
Martha rang die Hände, ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Mein armer Mann fühlte sich schon eine Weile lang nicht wohl. Er litt unter Brechdurchfällen und dergleichen, wurde immer schwächer. Wahrscheinlich hat ihn die böse Galle vergiftet.«
»Wahrscheinlich«, murmelte Delius.
»Mein Freund ist gekommen, weil er großes Interesse an den Werken des Verstorbenen hat«, warf Ditmold unvermittelt ein.
»Das ist großartig«, rief Christiane freudig aus,
Weitere Kostenlose Bücher