Die Hüterin des Evangeliums
Hauseigentümer also auch«, grummelte der Reichsgerichtsrat.
Wolfgang wusste, dass sein Freund nichts so sehr schätzte wie die Bescheidenheit ruhmreicher Männer. Was immer Georg Imhoff an Charme, Witz, Klugheit und Begabung auszeichnen mochte – Ditmold hatte sich bereits ein Urteil über den Dichter gebildet, und dies war ganz gewiss nicht freundlich. Unwillkürlich entschied er, dem Besitzer von Sebastian Rehms Nachlass ein wenig mehr Unvoreingenommenheit entgegenzubringen.
Zu beider Überraschung öffnete ein kleiner Mohr in leuchtend roter Livree die Tür. »Bitte?«, fragte der Junge höflich nach einer tiefen Verbeugung.
Bernhard Ditmold reichte ihm Martha Rehms Schreiben. »Wir möchten deinen Herrn sprechen. Mit diesem Billett werden wir ihm empfohlen.«
»Der Herr wird den Brief erhalten, sobald er wieder zu Hause ist«, versprach der Junge mit den hübschen, dunkelhäutigen Gesichtszügen und der geschliffenen Ausdrucksweise: »Leider habt Ihr ihn verpasst. Er ist vor eine Weile ausgegangen. Wenn Ihr vielleicht am späten Nachmittag noch einmal vorsprechen wollt, solltet Ihr ihn antreffen.«
»Bedauerlich. Dann ...«
Aus einer unerklärlichen Eingebung heraus fiel Wolfgang seinem Freund ins Wort: »Weilte dein Herr die vergangenen Tage immer in Augsburg oder war er auf Reisen?«
In den dunklen Augen lag unendliche Verwunderung. »Warum wollt Ihr das wissen? Er war jeden Tag, den Gott werden ließ, in der Stadt.«
»Nun, dann ist es nicht notwendig, mit Herrn Imhoff persönlich zu sprechen. Wir sind eigentlich hier, weil wir Einblick in den Nachlass des Dichters Sebastian Rehm nehmen möchten. Die Witwe gestattet uns dies. Wenn du uns die Texte zeigst, wird dies nicht zu deinem Schaden sein.«
»Ich darf niemanden einlassen, wenn der Herr nicht im Hause ist«, erklärte der kleine Diener würdevoll und schloss rasch die Tür, als befürchte er, einer der beiden Fremden würde den Fuß in den Rahmen stellen, um sich auf diese Weise in Imhoffs Wohnung zu drängen. Der Vorhang hinter dem kleinen Erkerfenster bewegte sich leicht, und Wolfgang nahm an, dass sich Imhoffs Faktotum dort auf seinem Posten befand, um das Geschehen auf der Straße zu beobachten.
»Dann bleibt uns vorläufig nur der Weg zum Vater der Meitingerin«, meinte Bernhard Ditmold und wandte sich achselzuckend ab.
»Netter kleiner Kerl«, murmelte Wolfgang zusammenhanglos in sich hinein – und: »Wieso hält sich ein Schriftsteller einen Mohren?«
»Warum nicht?«, fragte Ditmold zurück.
»Das Geld, mein Freund. Imhoff scheint über Mittel zu verfügen, von denen seine Berufskollegen nur träumen können«, erklärte der Verleger und redete sich in Rage, als er fortfuhr: »Nimm nur Luthers Bibelübersetzung, das wohl erfolgreichste Buch unseres Jahrhunderts. Davon sind inzwischen etwa zweihunderttausend Exemplare verkauft worden, das entspricht einem Wert von rund zweitausend Gulden.«
»Aha«, warf der andere fast gelangweilt ein, doch Wolfgang ließ sich von seinem Vortrag nicht abbringen: »Wie ich hörte, hatten die Drucker zu Wittenberg dem Doktor ein jährliches Honorar in Höhe von vierhundert Gulden für seine Manuskripte angeboten. Martin Luther wollte jedoch mit seinem Wort kein Geld verdienen und lehnte ab. Umso höhere Einnahmen scheint dieser Imhoff mit seiner Dichtkunst zu erzielen. Sein Haus ist gut und gerne mehrere hundert Goldstücke wert.«
»Und wenn schon, so ist sein protziges Gebaren peinlich, aber gewiss nicht verboten.«
Die Unvoreingenommenheit, die sich Wolfgang zuvor geschworen hatte, war hinsichtlich der finanziellen Lage Imhoffs geschmolzen wie Eis in der Sonne. »Es erscheint mir merkwürdig«, teilte er seine Überlegungen weiter mit, »dass ein so reicher Mann der beste Freund Sebastian Rehms gewesen sein soll, der seinerseits in bitterster Armut hauste. Das passt nicht zusammen. Das passt ganz und gar nicht.«
»Ach was. Freundschaften entstehen aus anderen Gründen als aus wirtschaftlichen Interessen. Wir sollten Martha Rehm bei Gelegenheit danach fragen. Sicher gibt sie uns eine vernünftige Erklärung. Und was den kleinen Mohren betrifft:Entweder hat der Dichter andere Neigungen als du und ich, und der Junge ist sein Lustknabe ...«
Wolfgang schnitt ihm eine angewiderte Grimasse.
»... oder er hat die Mutter in irgendeinem Hafen geschwängert und den Jungen zu sich genommen. In Venedig verkaufen schwarze Prinzessinnen ihre Unschuld und noch mehr, auf dem Sklavenmarkt ebenso wie auf
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