Die Hüterin des Evangeliums
ihrer Stube? Ihr kam es vor, als würde ihr Heim von dem Teufelsaustreiber entweiht. Sie hatte ihn nicht eingeladen. Aber sicher hatte der Jesuit von der Beerdigung erfahren und wollte seinen Anteil daran haben – er schien ja ohnehin überall gegenwärtig zu sein.
Sie rettete sich in alberne Gastfreundschaftsfloskeln und winkte das Dienstmädchen herbei, das sie eigens für diesen Tag eingestellt hatte, um den Trauergästen Kelche gefüllt mit Apfelmost oder Wein servieren zu lassen. Zwar hatte sich Martha angeboten, die Bewirtung zu übernehmen, doch Christiane hielt die zusätzliche Ausgabe für sinnvoll: Meitinger hätte sich ein prunkvolles Begräbnis gewünscht – er sollte es haben. Auch wenn das hieß, den verhassten Priester zu bewirten. »Möchtet Ihr eine Erfrischung, Pater?«
»Gerne. Vielen Dank. Ich nehme von dem Wein. In Meitingers Keller lagern eine Menge Schätze, nicht wahr?«
Christianes kleines, höfliches Lächeln gefror. Entsetzen trat an die Stelle ihrer vorgeschobenen Freundlichkeit. Was wusste Pater Ehlert über die Werte in Meitingers Keller? Der Mann schien überall Augen und Ohren zu haben. Ahnte er etwas von den Fälschungen? Nein, unmöglich!, dachte Christiane einige aufgeregte Herzschläge später und atmete tief durch. Der Priester meinte sicher den tatsächlichen Inhalt derFässer und nicht die Geheimnisse darin. »Mein verstorbener Gatte war ein Liebhaber guter Weine.«
»In der Tat. Das schmeckt man beim ersten Nippen von diesem köstlichen Tropfen.«
Der Gang des Gesprächs missfiel ihr. Sie fühlte sich nicht wohl bei dem Thema, und der aufmerksame Blick des Geistlichen trug nicht dazu bei, ihre Nerven zu beruhigen. Er sah sie an, als suche er im tiefsten Winkel ihrer Seele nach etwas ... wonach?
Ein Geistlicher suchte in der Regel nach der Wahrheit. In diesem Fall war jedoch nicht klar, welche Lügen – oder Fälschungen – er bereits entlarvt hatte. Es war sicher nicht das beste Gespräch, das sie an Meitingers Sarg führen konnte, doch erschien der Ort Christiane plötzlich ebenso gut wie jeder andere auch, um Pater Ehlert nach seinem Aufenthalt in der Posthalterei zu fragen. Sie warf einen raschen Blick auf ihren Vater, der sich seinerseits mit einem Glas zu Severins Meistersinger-Freunden gestellt hatte. Dann neigte sie sich zum Ohr des Jesuiten:
»Ich hörte, Ihr habt meinem armen Mann die letzte Ölung verabreicht«, behauptete sie aufs Geratewohl, obwohl sie tatsächlich gar nicht wusste, wer Severin die Sterbesakramente gegeben hatte.
»Ihr seid gut informiert«, gab er trocken zurück. Weiter sagte er jedoch nichts.
Seine Schweigsamkeit verärgerte sie. »Findet Ihr es nicht ein wenig seltsam, dass Ihr immer gerade dann zur Stelle seid, wenn ein Mitglied meiner Familie zu Tode kommt?«
»Gottes Wege sind unergründlich.«
»Was hat Euch nach Auerbach geführt, Pater?«, platzte sie heraus, obwohl sie nicht so direkt fragen wollte, denn er würde ihr zweifellos keine Antwort darauf geben. Gäbe es eine einfache Erklärung für seine Anwesenheit an dem Ort,an dem Severin erschlagen wurde, hätte er sie ihr sicher schon längst gegeben. Doch Christiane irrte.
»Euer Gatte hat mich in die Posthalterei gerufen«, erwiderte Pater Ehlert unumwunden, nachdem er sich einen Schluck Wein gegönnt hatte. »Bedauerlicherweise kam er nicht mehr dazu, mir den Grund für seine Bitte zu nennen. Ich tappe ebenso im Dunkeln wie Ihr, Meitingerin.«
Sie sog scharf die Luft ein. Irgendetwas an seiner Bemerkung missfiel ihr, aber sie konnte nicht sagen, was genau es war. Ihre Augen wanderten ziellos umher, als könne sie auf ihren Möbeln einen erhellenden Anschlag finden. Über Pater Ehlerts Schulter spähend, entdeckte sie jedoch Georg Imhoff, dessen Erscheinen sie zwar erwartet hatte, der ihr jedoch insgesamt keine große Unterstützung war. Immerhin befreite er sie aber aus dem Gespräch mit dem Jesuiten.
»Meine liebe Meitingerin«, er trat mit ausgestreckten Armen auf sie zu, »Ihr seht mich untröstlich über den Verlust meines liebsten Freundes und des besten Druckerverlegers, der meine höchste Wertschätzung genoss ...« Er schniefte ein wenig, als müsse er aufsteigende Tränen unterdrücken.
Es war eine Szene, die einer Bühne würdig gewesen wäre. Imhoff war ganz in Schwarz gekleidet und so bleich wie der Tod selbst. Die umstehenden Trauergäste unterbrachen ihre Gespräche, um sich dem berühmten Mann zuzuwenden, der angesichts des Sarges kaum an sich halten
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