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Die Hüterin des Evangeliums

Die Hüterin des Evangeliums

Titel: Die Hüterin des Evangeliums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Galvani
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rechts und links zu schauen, direkt auf Imhoff zustürzte.
    »Herr Dichter, Sie haben die Medikation vergessen!«, rief der Unbekannte, eine Phiole aus braunem Glas wie einen Siegespokal in der Hand schwenkend.
    Obwohl Christiane bisher niemandem begegnet war, der an der Französischen Krankheit litt und erst recht noch niemals selbst im sogenannten Holzhaus der Fuggerei gewesen war, wusste sie, welche Art von Hospital sich hinter dem Tor verbarg, aus dem Imhoffs Bekannter getreten war. Jedermann in Augsburg wusste, dass hier an Syphilis erkrankte Männer behandelt wurden. Die meisten von ihnen hatten Glück, denn der von der Fugger-Stiftung angestellte Bader betreute seine Patienten besser als die Leute im Städtischen Blatternhaus. Jedenfalls hatte sie mal bei einem Einkauf beim Stadtmetzg reden hören, dass es für jeden Kranken auf »Holzkur« regelmäßig saubere Bettwäsche und andere Annehmlichkeiten gab ...
    Verwundert beobachtete sie Imhoffs Reaktion, die von tiefster Unruhe und Verärgerung gekennzeichnet war. Sie war überzeugt davon, dass er dem Heiler das Reagenzglas aus der Hand geschlagen hätte, wäre er nicht in Gesellschaft gewesen. Er bebte förmlich und konnte seine aufgebrachten Gefühle nur schwer unter Kontrolle halten.
    »Was fällt Euch ein? Lauft mir nach wie ein räudiger Hund und schreit die ganze Stadt zusammen?«, herrschte er den anderen an. »Lasst mich in Ruhe!«
    »Ich sah, wie Ihr das Haus durch den Hintereingang verlassen habt«, verteidigte sich der Bader. Von Christianes Anwesenheit nahm er keine Notiz und fuhr sich rechtfertigend fort: »Deshalb habe ich rasch die Vordertür genommen, um Euch noch zu erreichen. Nehmt die Quecksilberlösung, Herr. Ihr braucht sie.«
    »Eine Verwechslung!«, rief Georg Imhoff. »Ich kenne Euch nicht und bedarf Eurer Hilfe nicht. Geht mir besser aus den Augen, bevor ich die Wachen rufe.«
    Würde ein Herr zugeben, dass er an der Franzosenkrankheit litt, nachdem er Verbotenes mit jener verheirateten Frau getrieben hatte, die sich nun in seiner Gesellschaft befand? Christiane versuchte, diesen Gedanken rasch zu vergessen, doch die unerwünschte Eingebung zementierte sich in ihrem Geist. Obwohl Imhoff bestritt, den Bader auch nur zu kennen, war deutlich, wer hier die Wahrheit sagte.
    Ihr Magen zog sich zusammen. So fühlt man sich wahrscheinlich, wenn man einen Tritt in den Bauch versetzt bekommt, dachte sie. Übelkeit stieg in ihr auf und vermischte sich mit dem Hämmern in ihren Schläfen. Sie schob die Hand, die Imhoff eben geküsst hatte, in die Falten ihres Rocks und wischte sie dort heimlich ab.
    Dann fiel es Christiane wie Schuppen von den Augen. Die Franzosenkrankheit galt als sehr ansteckend. Wenn Georg Imhoff wirklich darunter litt, war dies nicht nur für ihn schrecklich – dann befand auch sie sich möglicherweise in Lebensgefahr. Vorausgesetzt, er hatte mehr mit ihr getrieben, als sie mit seinen Fingern gefügig zu machen ...
    Ihre Blicke flogen zu ihrem Vater. Er schien ihre Begegnung mit dem Schriftsteller nicht zu beobachten, da er seinen Arbeiterngeschäftig neue Tätigkeiten aufgab – oder er ignorierte seine Tochter. Natürlich verteilt Hans Walser in erster Linie Befehle, sinnierte sie. Das lag in seiner Natur, Nachsicht und Fürsorge waren ihm nicht gegeben. Warum sonst hatte er sie mit einem so viel älteren Mann verheiratet und damit ihre Sehnsucht nach Leidenschaft geschürt? Nein!, widersprach eine innere Stimme. Dein Vater ist nicht schuld an deinen Sünden.
    »Schweigt!«, unterbrach Imhoffs donnernde Stimme ihre innere Zwiesprache, doch meinte er natürlich den Wundarzt: »Geht endlich Eures Weges.«
    Der Bader zog den Kopf ein, rührte sich aber nicht von der Stelle. Geduldig hielt er dem zornigen Blick seines Gegenübers stand, als leide dieser unter einer geistigen Verwirrung, die ihm bestens vertraut war. Offensichtlich würde er nicht von Imhoffs Seite weichen, bevor dieser nicht das Medikament angenommen hatte.
    Imhoff erkannte diese Beharrlichkeit. Er riss dem anderen die Phiole aus der Hand. »Dann gebt schon her, wenn Ihr nichts Besseres damit anzufangen wisst.«
    Er wog das Glasröhrchen in der Hand, sah sich um, als suche er etwas. »Ich finde keinen Ort, wo ich dieses Zeug ablegen könnte«, wandte er sich mit einem Hilflosigkeit ausstrahlenden, zerknirschten Lächeln an Christiane. »Deshalb nehme ich es besser an mich«, sprach er und ließ die kleine Arzneiflasche in den Ärmeln seines Umhangs

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