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Die Hüterin des Evangeliums

Die Hüterin des Evangeliums

Titel: Die Hüterin des Evangeliums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Galvani
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Imhoff war ein Mann, der nur auf den eigenen Vorteil aus war. Sie spürte, wie etwas in ihr zerbrach.
    »In Severins Schreibstube oder in der Druckerei müssen zahlreiche Schriftstücke liegen, die darauf warten, gedruckt zu werden«, erklärte er geduldig, offenbar nicht bemerkend, wie tief beleidigt sich Christiane fühlte. »Ich bin gerne bereit, Euch bei der Durchsicht behilflich zu sein ...«
    Energisch schüttelte sie seine Hand ab, die noch immer auf ihrem Arm ruhte. »Ihr hattet recht: Dies ist nicht der geeignete Zeitpunkt, um über das Geschäft zu reden«, schleuderte sie ihm entgegen und hatte dabei Mühe, ihren Ton nicht vor verletztem Stolz zittern zu lassen. »Besucht mich ein anderes Mal, damit wir uns ungestört unterhalten können.« Verärgert biss sie sich auf die Zunge. Ihre Worte klangen höchst zweideutig.
    Tatsächlich zog ein unverschämtes Grinsen über sein zuvor ernstes Gesicht. Er verneigte sich leicht. »Ich stehe wie immer jederzeit zu Euren Diensten, Meitingerin. Als Schriftsteller wie auch als Verehrer Eurer Schönheit.«
    Tiefe Röte überzog ihr Gesicht. Sie fühlte die Hitze in sich aufsteigen und ballte die Fäuste.
    »Frau Meitinger ...«
    Die inzwischen vertraute, tiefe Stimme versetzte ihr einen weiteren Schock. Es war lächerlich, natürlich, aber sie fühlte sich von Wolfgang Delius ertappt. Wie viel von ihrem Gesprächhatte er belauscht? Wie kam er überhaupt dazu, sich anzuschleichen? Sie schickte Blitze aus ihren Augen und hoffte, ihn mit ihrem bösen Blick zu treffen.
    Wolfgang Delius ließ sich nicht anmerken, was ihm durch den Kopf ging. In seinem Mienenspiel war nichts als dem Anlass angemessene Ernsthaftigkeit zu erkennen. »Ich möchte Euch nochmals mein Beileid aussprechen«, verkündete er formvollendet.
    »Es ist sehr freundlich von Euch, dass Ihr Abschied von meinem Gatten nehmen möchtet«, erwiderte sie monoton und wunderte sich selbst über die Falschheit in ihrer Stimme.
    »Wo Ihr ihn doch gar nicht persönlich gekannt habt«, fügte Imhoff leise hinzu.
    Delius’ Brauen hoben sich. »Im Tod schließt man die nachhaltigsten Bekanntschaften«, behauptete er. »Außerdem bin ich hier, um Euch meiner Unterstützung zu versichern, Frau Meitinger.«
    Mit flackernden Augen blickte Christiane zwischen den beiden Männern hin und her und suchte verzweifelt nach einer geeigneten Antwort, doch sie war so durcheinander, dass ihr nichts Passendes einfallen wollte.
    Marthas Erscheinen unterbrach das peinliche Schweigen. Sie trat zu der kleinen Gruppe hin, nickte den Gästen zu und fragte höflich: »Haben sich die Herren bereits bekannt gemacht?«
    »Dafür habt Ihr mit Eurem Brieflein gesorgt, liebe Martha«, sagte Sebastian Rehms Freund.
    »Herr Imhoff war so freundlich, mich zu empfangen und mir das Werk Eures verstorbenen Gatten zu zeigen«, erwiderte Delius, und wieder einmal fiel Christiane auf, wie sanft sein Ton wurde, wenn er mit ihrer Cousine sprach: »Leider ist ja nicht sehr viel übrig.«
    »Nicht?« Martha versuchte vergeblich, ihre Irritation zu verbergen.
    »Liebelein ...«, Imhoff griff begütigend nach ihrer Hand, »es schien viel Material in den Kisten zu sein, aber die Durchsicht hat ergeben, dass wenig von dem zu verwerten ist, was Sebastian aufgehoben hat, Gott hab ihn selig. Ich habe mir daher erlaubt, den wertlosen Teil der Manuskripte zu verbrennen. Damit wollte ich Euch nicht behelligen.«
    Martha biss sich erbleichend auf die Unterlippe.
    »Wie schade«, entfuhr es Christiane, ohne dass ihr wirklich bewusst war, was sie sagte. Sie wünschte sich, endlich einen klaren Kopf zu bekommen und nachzudenken. Irgendetwas an diesem Dialog stimmte nicht. Sie fühlte die Anspannung fast körperlich – ebenso die Lüge. Hatte Imhoff Kenntnis von Sebastians Fälschungen und diese Schriften vernichtet? War es ein Freundschaftsdienst, der ihn dazu gebracht hatte, das Andenken des Toten zu bewahren, indem er dessen letztes Werk ins Feuer warf? Hatte er sie nach Meitingers Druckerzeugnissen gefragt, weil er ahnte, dass es Kopien und weitere Pamphlete gab?
    Christiane war so in ihre Grübeleien vertieft, dass sie den Mann nicht bemerkte, der die Stube betrat. Sie hörte das Hämmern seines Stocks auch nicht gleich. Erst als die Geräusche um sie her – die längst wiederaufgenommenen, leisen Gespräche, das Klirren der Gläser und das Scharren Dutzender Füße, die sich in einer Prozession an Meitingers Sarg entlang bewegten –, erst als diese Geräusche

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