Die Hüterin des Evangeliums
geräuschlos wie Vögel, denn nichts war zu hören, was auch nur entfernt klang wie das ewige Geklapper von Meitingers Magd. Es war so still, dass Christiane ihren eigenen Atem als zu laut empfand.
Unvermittelt brach der Hausherr in schallendes Gelächter aus, und Christiane zuckte unter diesen Tönen zusammen wie unter einem Peitschenhieb.
»Dann ist es also wahr: Der gute Severin hat sich Euretwegen ruiniert.«
Es war ein Schlag. Christiane wusste nicht, was sie mehr verletzte, Georg Imhoffs bittere Erheiterung oder dass er den Vorwürfen des alten Titus ohne jedes Wenn und Aber Glauben schenkte. Gekränkt entzog sie ihm die Hand. »Ich bin nicht dafür verantwortlich, dass sich mein armer Mann finanziell übernommen hat. Zu keiner Zeit habe ich ihn um irgendetwas gebeten.«
»Bei mir wollt Ihr dies jedoch ändern, nicht wahr? Ihr seid bankrott und hofftet, dass ich Euch aus Euren Schwierigkeiten helfe.«
Der Verlauf des Gesprächs war ganz und gar nicht so, wie sie es geplant hatte. Vielleicht war es am besten, ihre Pläne zu ändern. Sie überging seine Unhöflichkeit und antwortete zuvorkommend: »Wir führten an der Bahre meines armen Mannes ein Gespräch über die Werke, die zum Druck anstehen. Erinnert Ihr Euch?«
»Ich fragte Euch, ob Ihr Severins Nachlass schon gesichtethabt«, korrigierte Imhoff. »Was hat es damit auf sich? Habt Ihr bedeutsame Manuskripte gefunden?«
»Nein«, log Christiane und sah ihm weiterhin stolz in die Augen, »das habe ich nicht.«
Sein Blick verdunkelte sich. Er sagte jedoch nichts, sondern wartete schweigend darauf, dass sie fortfuhr.
»Genau genommen interessiere ich mich nicht mehr für die Vergangenheit, sondern für die Zukunft. Ich möchte so viele Bücher wie möglich von Euren neuen Werken drucken. Ihr seid ein berühmter Dichter, davon sollten wir beide profitieren. Ich biete Euch dafür nicht nur ein Honorar, sondern eine Beteiligung an der Druckerei an. Es ist ein gutes Geschäft und hat nichts mit Almosen oder dergleichen zu tun.«
»Bedauerlich, dass Ihr so wenig Verstand zeigt, wie Euer Schwäher immer von Euch behauptet«, seine Stimme klang so hart wie der Stahl eines Schwerts, und Christiane fühlte sich, als durchbohre er damit ihr Herz. »Was soll ich wohl mit einer bankrotten Werkstatt anfangen, hmmm?« Er hielt ihren Blick fest, als sie ihre Augen abwenden wollte. »Oder bekomme ich Euch als Draufgabe?«
Obwohl er sie unverändert ansah, veränderte er ein wenig seine Haltung. Christiane registrierte, dass durch die Bewegung der Mantel auseinanderfiel und seine unbekleidete Brust offenbarte. Er trug kein Hemd unter dem rotseidenen Gewand. Unwillkürlich starrte sie auf die nackte Haut. Weißes Fleisch, auf dem ein Ekzem mit kupferfarbenen Flecken und eitrigen Knoten leuchtete. Wie magisch angezogen von der Unappetitlichkeit dieses Ausschlags glotzte sie darauf, bis er es bemerkte. Mit einer fahrigen Geste bedeckte er sich wieder, hielt den Kragen am Hals fast krampfhaft zusammen.
»Ihr verkennt die Situation«, seine Stimme klang nur mühsam beherrscht, »ich kann nichts für Euch tun.«
Ich sollte gehen, dachte Christiane. Die Szene war vonäußerster Peinlichkeit geprägt, und angesichts der widerlichen Flechte war sie sogar – ohne sonderlich darüber nachzudenken – ein wenig von ihm abgerückt. Die Vorstellung, diesen Körper zu berühren, verursachte ihr Ekel. Schmerzlich entdeckte sie, wie wenig von ihren einstigen Gefühlen für Imhoff übriggeblieben war. Sie verspürte den widersprüchlichen Wunsch, in Grund und Boden zu versinken und gleichzeitig diesem überheblichen Mann die Stirn zu bieten.
»Ich lebe in besonderen Verhältnissen«, unterbrach er ihre Überlegungen, er sprach leiser als zuvor und nicht mehr so schneidend: »Natürlich erweckt mein Haus Neid und den Anschein, als besitze ich ein Vermögen. Aber dem ist nicht so. Alles, was ich habe, gehört ... meiner Kirche.«
Vor Überraschung vergaß sie ihren Vorsatz zu gehen. Seine Erklärung nötigte ihr Verwunderung ab. Nie hätte sie Georg Imhoff für dermaßen gläubig gehalten. Menschen, die ihren Besitz zu Lebzeiten der Kirche vermachten, waren in ihrer Vorstellungswelt aus anderem Holz geschnitzt als ein Lebemann, der seines Freundes Ehefrau begehrt hatte.
Oder war dies eine Form des Ablasses? Die Erinnerung an ihre Begegnung vor dem Holzhaus der Fuggerei stellte sich mit unerwünschter Deutlichkeit ein. Litt er womöglich doch an der Franzosenkrankheit? Versuchte er
Weitere Kostenlose Bücher