Die Hüterin des Evangeliums
dieser Nachrichten gering war: Der Rat hätte dem Händler keinen so zentralen Verkaufsplatz genehmigt, wenn die Gefahr bestand, dass er mit der Zensur in Konflikt geraten könnte.
Als er ihr Interesse bemerkte, ließ er von ihr ab. »Sucht Ihr nach einer bestimmten Lektüre, Herrin? Oder kann ich Euch empfehlen, was für eine Dame ...«
»Nein, nein«, unterbrach sie ihn rasch, »ich bin selbst ...«, doch dann biss sie sich auf die Zunge. Sie war zwar mit einem Druckerprivileg ausgestattet, hatte aber – wie die Dinge lagen– gewiss weniger davon als dieser Buchhandels-Gerechtsame. Seufzend blätterte sie in einem Buch.
»Das ist ein Werk mit Spottversen, nichts für eine Dame«, behauptete der Händler und schob den Band geschickt zur Seite unter einen Stapel anderer Werke. »Darf ich Euch ein Büchlein mit Liedern von Orlando di Lasso zeigen, der Herzog Albrecht von Bayern mit seiner Musik erfreut?«
Verwirrt sah Christiane auf. Die harmlose Frage weckte eine der wenigen Bemerkungen Meitingers über seinen Beruf aus dem Tiefschlaf ihrer Erinnerung. Der Buchhandel war in der Regel auf bestimmte Regionen begrenzt, hatte Severin einmal gesagt, ebenso wie das Druckerprivileg. Buchführer, die über Land reisten, verkauften den Bestand ihres Meisters aber auch anderswo – das nannte man Sortiment.
»Verzeihung, Herrin«, beeilte sich der wackere Mann, der sich missverstanden fühlte und wohl meinte, in ein Fettnäpfchen getreten zu sein. »Musik ist sicher die falsche Wahl für Euch. Steht Euch der Sinn vielleicht nach erbaulicher Literatur? Wie ich sehe, seid Ihr in Trauer.«
Ein Gedanke blitzte in Christianes Geist auf. Es wäre ein Zufall, ausgerechnet in diesem älteren Gerechtsamen den Buchführer zu treffen, der Conrad von Hallensleben die Fälschungen mit Meitingers Druckersiegel anvertraut hatte. Andererseits standen nicht an allen Ecken der Stadt Bücherbuden. Ihre Neugier war einen Versuch wert, fand Christiane und fragte: »Beliefert Ihr denn auch die Bibliothek der Patrizier von Augsburg? Das Haus Fugger etwa?«
»O ja, gewiss. Und das ist keine Überheblichkeit, wenn ich das als selbstverständlich voraussetzen darf. Mein Herr, der Druckerverleger Johann Schobser, stammte ursprünglich aus dieser wunderschönen Stadt hier, bevor er in München eine Konzession erhielt.«
Ein Katholik, fuhr es Christiane durch den Kopf, der vernünftigerweisean die Isar ging, als die protestantischen Drucker Augsburg zu beherrschen begannen. Hätte Severin es ihm doch gleichgetan und nicht diesen Schuldenberg angehäuft, der ihn womöglich dazu gezwungen hatte, sich auf einen Handel mit dem Teufel einzulassen.
Im nächsten Augenblick hielt sie den Atem an. Beinahe hätte sie übersehen, dass sie offenbar vor dem Mann stand, der von Hallensleben die Texte mit dem verräterischen Kolophon übergeben hatte. Sie lächelte ihn gewinnend an. »Dann haben wir einen gemeinsamen Bekannten, glaube ich. Herr von Hallensleben war vertraut mit meinem leider kürzlich verstorbenen Gatten. Kanntet Ihr Severin Meitinger vielleicht auch?«
Seine Reaktion war der Beweis, dass sie auf der richtigen Spur war: Er erbleichte, und seine berufsmäßige Anbiederung verwandelte sich in Argwohn. »Ja, vielleicht ... Meister Schobser hat viele Bücher im Angebot, die er in anderen Gegenden und auf den Messen anbietet. Es kann schon sein, dass er seine Werke auch mit Kollegen tauscht.«
»Hm«, sie knabberte nachdenklich an ihrer Unterlippe. »Mir ist zu Ohren gekommen, dass Ihr Herrn von Hallensleben vor nicht allzu langer Zeit ein Manuskript mit seltsamem Inhalt gegeben habt, welches unsere Druckermarke trug. Ich würde gerne wissen, woher Ihr diese Texte habt.«
In aufflammender Hektik begann er, die Bücher auf seinem Tisch zu sortieren, die Dekoration umzustellen und irgendetwas zwischen den Flugblättern zu suchen. Er war so beschäftigt, dass Christiane ihn kaum verstand, als er in sich hineinnuschelte: »Erinnert mich bloß nicht an diese Werke, ich will davon nichts wissen. Es war eine Gefälligkeit, dass ich sie einem guten Kunden zeigte. Vergesst am besten, dass Ihr mich je gesehen habt.«
»Das werde ich gerne tun, aber erst beantwortet bitte meine Frage.«
Er strich sich nervös über den Bart. »Vielleicht war’s in Ingolstadt, möglicherweise auch in Landsberg. Ich komme viel herum, Herrin, manchmal kann ich mir nicht einmal merken, in welcher Stadt ich gerade bin.«
Sie war nahe daran, mit dem Fuß aufzustampfen. Der
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