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Die Hüterin des Schattenbergs

Die Hüterin des Schattenbergs

Titel: Die Hüterin des Schattenbergs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Random House
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Innern zum Schweigen zu bringen, die ihr zuflüsterte, dass sie die Insel niemals wieder verlassen würde.

    »Sie sind schon lange fort!« Jordi schaute Rik fragend an. Er wirkte noch blasser, als er es ohnehin schon war. »Vielleicht ist ihnen etwas passiert.«
    »Unsinn.« Rik fuhr dem Jungen aufmunternd durch die roten Locken. Er saß neben Jordi am Seeufer und starrte in den Nebel hinaus, so wie er es seit Stunden tat. »Das W asser ist ruhig und bis zur Insel ist es nicht weit. W as sollte ihnen geschehen sein?«
    »Ich weiß nicht.« Jordi zeichnete mit dem Finger Striche in den Ufersand. »Vielleicht haben die Nerbuks sie gefressen oder … oder ihnen die Seelen geraubt.«
    »Die Nerbuks fressen keine Menschen.« Rik hoffte, dass seine Stimme nicht verriet, wie besorgt er in W ahrheit war. »Und sie rauben auch keine Seelen.«
    »Und warum sind sie dann noch nicht zurück?« Jordi rang in einer hilflosen Geste die Hände. »Es … es wird bald dunkel und sie sind bei Sonnenaufgang losgerudert. W as, wenn sie bis zum Einbruch der Nacht nicht zurück sind?«
    »Dann werden sie die Nacht auf der Insel verbringen und morgen früh zurückkommen.«
    »Aber ich … ich will hier nicht allein sein.« Jordis Stimme bebte.
    »Du bist nicht allein.« Rik gelang ein Lächeln. »Ich bin bei dir und all die anderen Eleven auch.«
    »Trotzdem.« Jordi senkte den Blick. »Es ist hier so still«, sagte er mit dünner Stimme. »Ich mag den Nebel nicht.«
    »Ach, Jordi.« Rik wandte sich dem Jungen zu und legte ihm die Hände auf die Schultern. »Hier gibt es nichts, vor dem du dich fürchten müsstest«, sagte er nachdrücklich. »Der Schattenberg ist weit weg. Das Böse darin wird gut bewacht.«
    »Wirklich?«
    Jordi schaute ihn an und Rik spürte, dass seine W orte nicht ohne W irkung geblieben waren. »Natürlich, was denkst du denn? Du wirst sehen, alles wird gut.«
    »Machst du dir denn gar keine Sorgen?«, fragte Jordi.
    »Nein.«
    Rik war überrascht, wie leicht ihm die Lüge über die Lippen kam. Natürlich machte er sich Sorgen. Mehr noch, als Jordi es mit seinem kindlichen Gemüt vermutlich tat. Doch wie Jordi war auch er nur allzu gern bereit, sich an die Hoffnung zu klammern, dass seine Sorgen unbegründet waren. »Du solltest zum Feuer gehen und etwas essen«, riet er. »Wenn ich die Barke kommen höre, sage ich dir Bescheid.«
    Jordi zögerte. »Versprochen?«
    »Versprochen!« Rik nickte ernst.
    Erleichtert beobachtete er, wie Jordi sich erhob und in Richtung des Lagers davontrottete. Der Kleine tat ihm leid. Galdez hatte ihm auf dem W eg zur V ersammlung erzählt, dass die Hüterin Mascha Jordi erst im vergangenen Jahr zu sich geholt hatte. Mit neun Jahren war er da eigentlich schon zu alt gewesen, um als Elev erwählt zu werden, aber Mascha war sehr krank und fürchtete, nicht mehr lange genug zu leben, um die zehnjährige A usbildung beenden zu können. A us diesem Grund hatte sie bewusst einen älteren Jungen gewählt, nachdem ihr Elev kurz vor der Prüfung zum Novizen bei einem tragischen Unglück ums Leben gekommen war. Gerade hatte Jordi Rik verraten, dass er oft von seiner Familie träumte und manchmal auch Heimweh hatte. Er schien jedoch zu wissen, welche Hoffnungen Mascha in ihn setzte und welche V erantwortung er trug. Denn nur wenn er rechtzeitig die nötige Reife erlangte, um die Magie des Schattenbergs auch über Maschas T od hinaus am Leben zu halten, würde das Böse auch weiterhin in den T iefen des Felsgesteins gefangen sein.
    Rik seufzte und versagte es sich, daran zu denken, was aus Jordi werden würde, wenn Mascha tatsächlich etwas zugestoßen sein sollte. W as wird aus uns, wenn wirklich ein Unglück passiert ist?, überlegte er. W as wird aus der Magie, die die Schatten in dem Berg gefangen hält? Rik zwang sich, an etwas anderes zu denken. Um sich abzulenken, ließ er den Blick über die nebelverhangene Oberfläche des Sees schweifen. Er lag so friedlich da, dass ihm der Gedanke an ein Unglück abwegig erschien.
    »Das W asser ist ruhig und bis zur Insel ist es nicht weit. W as sollte ihnen geschehen sein?«, wiederholte er noch einmal seine W orte, aber sie vermochten den Schatten nicht zu vertreiben, der sich wie die V orahnung nahen Unheils über seine Gedanken gelegt hatte.
    Es ist der Nebel, dachte er bei sich, dieser furchtbare Nebel, der uns alle bedrückt und mutlos macht. In einer unbewussten Bewegung hob er einen Stein auf und warf ihn auf den See hinaus.
    Platsch!
    Das

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