Die Hüterin des Schattenbergs
der Furcht vor den Nerbuks, richtete sie sich auf, lief zum Ufer, formte mit den Händen einen T richter vor den Lippen und rief, so laut sie konnte: »Hilfe! Zu Hilfe! Hört mich jemand? Ich bin hier! Bitte helft mir!«
»Hilfe! Zu Hilfe! Hört mich jemand?«
Rik horchte auf. Die Stimme wurde durch den Nebel gedämpft, gehörte aber eindeutig einer jungen Frau. Entweder stammte sie von einer Hüterin oder es war Jemina selbst, die in Not war.
»Ich bin hier! Bitte helft mir!«
Rik nickte grimmig. Die Stimme ertönte eindeutig hinter seinem Rücken, wie es schien, hielt er direkt darauf zu.
Wwuuuu – wwuuu! Jordis Hornsignal ertönte irgendwo im Nebel in Blickrichtung. Er war auf dem richtigen W eg. Entschlossen tauchte er die Ruder tiefer ins W asser und erhöhte die Schlagzahl. In Gedanken zählte er bis zwanzig, so wie Jordi es vermutlich gerade tat, aber schon bei vierzehn hörte er die Frau hinter sich erneut rufen: »Hilfe! Hört mich denn keiner?«
»Jemina?« Rik rief, so laut er konnte. »Jemina, bist du das?«
»Ja!«, kam die A ntwort aus dem Nebel. »Wer bist du?«
»Ich bin es, Rik! Ich komme mit einem Ruderboot. W o bist du?«
»Auf der Insel!«, schallte Jeminas A ntwort durch den Nebel. »Hier ist eine Lücke im Schilf und eine Bucht.«
»Hab keine A ngst, ich komme!« Rik ruderte schneller, während Jordi erneut in das Horn blies. Es klang schon sehr viel leiser und verriet Rik, dass er sich bereits weit vom Lager entfernt haben musste.
»Kannst du die Insel sehen?« Jeminas Stimme war nun lauter; noch nicht sehr nahe, aber näher als zuvor.
»Nein!« Rik drehte sich um und versuchte etwas zu erkennen, aber ringsumher war alles in das Grau des mondbeschienenen Nebels getaucht.
»Fahr nicht weg!«, flehte Jemina.
»Ich finde dich.« Rik legte alle Zuversicht, die er aufbringen konnte, in die W orte. »Hast du eine Fackel?«
»Nein!« Das klang kläglich.
»Oh Schatten.« Rik sprach leise, damit Jemina ihn nicht hörte. Laut rief er: »Macht nichts. Ich finde dich auch so.«
In der Hoffnung, keinen Fehler zu machen, ruderte er weiter. Zweimal noch hörte er Jordis Hornsignal, dann glitt der Bug des Bootes in den dichten Schilfgürtel, von dem Jemina gesprochen hatte.
Doh-Jamal. Rik konnte sein Glück kaum fassen. Er hatte die Insel tatsächlich gefunden. Eines der Ruder im Boot wie ein Stechpaddel benutzend, kämpfte er sich stehend aus dem Schilf hervor. A ls das Boot wieder frei war, setzte er sich, nahm beide Ruder wieder zur Hand und rief nach Jemina.
»Ich bin noch hier!«, kam prompt die A ntwort. »Wo bist du?«
»Irgendwo am Schilfgürtel«, rief Rik und fragte. »Kannst du etwas singen?«
»Warum?«
»Damit ich weiß, in welche Richtung ich fahren muss.«
»Ja, das mache ich.« Kaum hatte Jemina das gesagt, erklang ihre Stimme. Sie sang ein schönes, aber trauriges Lied, von einem jungen Mädchen, das einen Magier liebte.
»Gut so?«, fragte Jemina nach der ersten Strophe.
»Ja. Sing weiter.« Rik hatte sich entschlossen, nach rechts zu fahren und es schien, als hätte er sich richtig entschieden. Eine Ruderlänge von den Pflanzen entfernt glitt er auf der Suche nach der Bucht an der Schilfkante entlang. Jeminas Stimme war immer deutlicher zu hören. Dann trat die undurchdringliche Schilfmauer endlich zurück und öffnete ihm den W eg in die Bucht. Er warf einen Blick über die Schulter und erkannte im schwachen Mondlicht am Ufer eine schemenhafte Gestalt.
»Rik!« Jemina verstummte mitten im Lied. Rik sah, wie sie die Hand hob und ihm zuwinkte.
»Rik, den Göttern sei Dank.« Jemina kam ihm im flachen W asser entgegengeeilt. »Was ist geschehen? W o sind die Hüter?«, fragte sie. »Haben sie dich geschickt, mich zu suchen?«
Jordis Hornsignal schallte aus der Ferne durch den Nebel. Rik half Jemina beim Einsteigen und wartete, bis sie sich gesetzt hatte, dann tauchte er die Ruder wieder ins W asser und steuerte das Boot dorthin, wo er Jordis Signal vermutete.
»Rik? Ich habe dich etwas gefragt.« Sorge schwang in Jeminas Stimme mit. »Wo sind die Hüter?«
»Ich weiß es nicht.« Rik seufzte, während seine Ruderschläge sie aus der Bucht heraustrugen. »Sie sind gestern A bend wohlbehalten zurückgekehrt und heute Morgen bei Sonnenaufgang aufgebrochen, um dich abzuholen. A ls es dunkel wurde, wurden wir unruhig. Ehrlich gesagt, hatte ich gehofft, sie bei dir auf der Insel zu finden.« Rik verstummte. V on dem Umhang, den er aus dem W asser gezogen hatte, sagte
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