Die Hüterin des Schattenbergs
Reich der T räume tragen.
Dort begegnete Jemina wieder den Hütern. Im ersten Licht der Dämmerung saßen sie in der Barke beisammen, die wie am T ag zuvor von Burcan über den See gesteuert wurde. Das W asser war ruhig und dunkel. Die Hüter wirkten gefasst und in sich gekehrt. Jemina konnte sie in den dunklen Umhängen kaum auseinanderhalten, denn bis auf den breitschultrigen Burcan besaßen darin alle fast dieselbe Statur.
Die Barke kam immer näher. Bei dem A nblick fühlte sich Jemina stark und zuversichtlich. Sie kommen, dachte sie voller Freude. Sie kommen, um mich abzuholen.
Da begann die Barke zu wanken. Eine der verhüllten Gestalten war lautlos in sich zusammengesackt und krümmte sich, wie unter großen Schmerzen. Der Hüter daneben sprang auf, um zu helfen. Zwei weitere kamen hinzu. Unter den Bewegungen schwankte die Barke immer stärker.
Sie werden kentern! Jemina erschrak. Sie wollte rufen, die Hüter warnen, und wäre auch ins W asser gelaufen, um ihnen zur Hilfe zu eilen, aber sie war in dem T raum als tatenlose Zuschauerin gefangen.
Als Burcans W arnruf die Ohren der anderen erreichte, war es bereits zu spät. Ungeachtet der Gefahr waren auch die übrigen Hüter aufgesprungen, um der zusammengesunkenen Gestalt zu helfen, doch statt abzuwarten, bis die Barke wieder ruhig im W asser lag, hatten sie dies im denkbar ungünstigsten Moment getan. Jemina sah die Hüter wild mit den A rmen rudern und hörte Burcans W arnrufe, dann tauchte der Rumpf der Barke für einen schrecklichen Moment kurz über der W asseroberfläche auf und die Hüter fielen ins W asser.
Efta kann nicht schwimmen! Jemina glaubte, ihr Herz würde stehen bleiben. Die wollenen Umhänge würden sich sofort vollsaugen und die Hüter unter W asser ziehen. Ich muss ihnen helfen! W ie von Sinnen wand Jemina sich in den Fesseln, die der T raum ihr angelegt hatte. A ber was sie auch versuchte, die Bande, die sie hielten, waren stark und gaben nicht nach. Zur Untätigkeit verdammt, musste sie mit ansehen, wie die Hüter versuchten, sich gegenseitig in die Barke zu ziehen. Dabei waren sie sich ganz und gar nicht einig, wer von ihnen die Rolle des Retters und des Geretteten übernehmen sollte. Niemand wollte ins Boot, stattdessen wollte jeder dem anderen helfen. Unter den heftigen Bewegungen lief die Barke voll W asser und kenterte endgültig, während die Bewegung der Gekenterten immer verzweifelter wurden. W asser spritzte auf, als die Hüter an Land zu schwimmen versuchten. Jeder schlug dabei eine andere Richtung ein, weil sie im Nebel und Dämmerlicht nicht erkennen konnten, wo das rettende Ufer war.
Als die Ersten das bemerkten, hielten sie inne und riefen den anderen zu, dass das Ufer in dieser oder jener Richtung zu finden sei, aber nur einige kamen der A ufforderung der anderen nach. A ndere schienen unentschlossen, welcher W eg der richtige war. So verloren sie kostbare Zeit. Die Ersten verließen die Kräfte, ohne dass sich auch nur einer allein auf den W eg gemacht hatte, denn keiner wollte die anderen im Stich lassen.
Als Jemina die ersten Hüter im See versinken sah, zerbrach etwas in ihr. V erbissen kämpfte sie gegen ihre T raum-Fesseln an. W as war das für ein Irrsinn? Sie konnte doch nicht tatenlos zusehen wie ein Hüter nach dem anderen ertrank, nur weil sie sich gegenseitig helfen wollten und das W ohl der anderen über das eigene Leben stellten … Sie musste aufwachen. Sie musste ihnen helfen. Sie musste …
Plötzlich hörte sie im T raum Eftas Stimme:
Was auch geschieht, was immer dir hier oder in deinen Träumen auch begegnen mag, tue nie das, was die Bilder von dir verlangen, denn es sind die Nerbuks, die dich prüfen. Wie aus weiter Ferne glaubte sie noch einmal die W orte zu hören, die die Hüterin ihr beim A bschied mit auf den W eg gegeben hatte. Sie werden dich mit deinen schlimmsten Albträumen und Ängsten konfrontieren, hatte Efta ihr verraten . Sei stark. Denn nur wer stark ist, kann eine Hüterin werden.
Nur wer stark ist …
Jemina wurde ganz ruhig. Efta hatte sie gewarnt und sie wäre den Nerbuks trotzdem fast in die Falle gegangen. W as sie gesehen hatte, entsprach natürlich nicht der W irklichkeit. Es war ein T raum! Nur ein furchtbarer T raum. Die nächste Prüfung hatte längst begonnen – im Schlaf. Sie hatte es nur noch nicht bemerkt. Jemina schalt sich eine Närrin und dankte Efta im Schlaf für die W arnung, denn schließlich war dies nicht das erste Mal, dass sich die Nerbuks ihr in
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