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Die Hüterin des Schattenbergs

Die Hüterin des Schattenbergs

Titel: Die Hüterin des Schattenbergs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Random House
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wieder unser Leben aufs Spiel setzt, weil er die A ugen nicht aufhalten kann?« Er schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, aber er hat mein V ertrauen verspielt.«
    »Jetzt sei doch nicht so störrisch.« Jemina wünschte, sie hätte Rik nicht auf den schlafenden Posten aufmerksam gemacht. W arum war sie nicht einfach selbst hingegangen?
    »Nicht ich bin störrisch, du bist zu nachsichtig, Jemina«, erwiderte Rik im Flüsterton. »Immer hast du für alles eine Erklärung. Hast du dich eigentlich schon jemals über etwas geärgert?« Er machte eine kurze Pause, gab sich dann aber gleich selbst die A ntwort: »Nein, natürlich nicht. W eil du nicht fähig bist, Ärger zu verspüren. Selbst wenn ein W olf heute Nacht einen von uns getötet hätte, würdest du noch verständnisvolle W orte für Salvias Fehlverhalten finden. Du bist blind, Jemina. Ihr alle seid blind, weil ihr nicht bemerkt, wenn euch ein Unrecht angetan wird. W eil …«
    »Es gibt kein Unrecht mehr in Selketien«, fiel Jemina Rik ins W ort. »Missgunst, Hass, Neid, W ut und alle anderen furchtbaren Eigenschaften, die Menschen dazu treiben, Not und Elend über andere zu bringen, sind – Orekh sei gepriesen – schon seit Generationen in den Schattenberg verbannt. Hast du das vergessen?«
    »Wie könnte ich das?« Rik schnaubte und schüttelte den Kopf. »Schließlich erlebe ich jeden T ag aufs Neue, was dadurch aus uns geworden ist.«
    »Ein V olk, das in Sicherheit leben kann.«
    »So kann man es auch sehen.« Rik seufzte und biss ein Stück von seinem Brot ab.
    »Du redest manchmal so seltsam.« Jemina zögerte, weil sie nicht wusste, ob sie ihre Gedanken laut aussprechen sollte. Dann beugte sie sich vor, bis ihr Mund ganz dicht an Riks Ohr war und flüsterte. »Wenn ich nicht wüsste, dass es unmöglich ist, würde ich dich glatt für einen Unreinen halten.«
    »Ein Unreiner könnte niemals ein Elev werden.« Rik schob den Ärmel seines Gewandes so weit in die Höhe, dass Jemina das sichelförmige Mal auf seiner Schulter erkennen konnte. »Ich bin nur etwas kritischer als andere«, sagte er so ruhig, als würde ihn die ungeheuerliche V ermutung nicht weiter kümmern.
    »Und gefühlsbetonter.«
    »Ja, das wohl auch.« Rik schenkte ihr ein versöhnliches Lächeln, das Jemina erröten ließ. Plötzlich stand Salvias neben ihnen. Er hatte sein Bündel bereits geschultert. »Wir brechen auf!« V ier Fackeln in den Händen haltend, trat er ans Feuer und entzündete sie an der Glut, ehe er mit dem Stiefel Sand über die Feuerstelle schob und die Flammen erstickte.
    »Fackeln?« Jemina runzelte die Stirn. »Wozu brauchen wir die?«
    »Das wirst du gleich sehen.« Mit einem Kopfnicken deutete Salvias in Richtung der Felswand. »Kommt, wir haben noch einen weiten W eg vor uns.«
    Wenig später fand sich die Gruppe vor einem verwitterten T or aus Eichenbohlen wieder, das in die Felswand eingelassen worden war. Die Überreste einer eisernen Kette ließen vermuten, dass es einst verschlossen gewesen war, aber Kette und T or hatten dem jahrhundertelangen Ringen mit W ind und W etter T ribut gezollt und ihre W ehrhaftigkeit eingebüßt. Kettenglieder und T ürscharniere waren von Rost zerfressen, das Holz der beiden Flügeltüren, die schief in den A ngeln hingen, war modrig und von W urmlöchern durchsetzt. Jemina wich instinktiv einen Schritt zurück, als Salvias sich anschickte, das T or zu öffnen. Doch erst als die beiden Drachenreiter gemeinsam an dem T orflügel zerrten, gab es so weit nach, dass ein Spalt entstand, der breit genug war, sie einzulassen.
    Das Erste, was Jemina in der Finsternis hinter dem T or wahrnahm, war der Geruch von feuchtem Gestein, Moder, V erwesung und Fäulnis. Sehen konnte sie nichts, da sich ihre A ugen nach dem grellen Sonnenlicht erst an die Dunkelheit gewöhnen mussten. A m liebsten wäre sie umgekehrt, zurück in die frische Luft des Hochgebirges, aber sie kämpfte gegen die Übelkeit an, die ihr die Kehle eng werden ließ, und ging weiter.
    »Ihr Götter! W as für ein Gestank.« Rik sprach aus, was sie dachte. »Das riecht, als würden hier Dutzende toter Ratten vor sich hin verwesen.«
    »Ratten nicht.« In der Dunkelheit bewegte sich die Fackel, die Salvias in der Hand hielt, ein Stück weit in die Höhle hinein. Dann senkte sie sich zu Boden und erhellte etwas, was Jemina zunächst für einen modrigen Lumpenhaufen hielt. Zögernd trat sie näher, prallte aber sogleich zurück.
    »Oh Schatten!«, stieß sie keuchend hervor,

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