Die Hüterin des Schattenbergs
A ura und ließen ihn ein, ohne dass er etwas dazu tun musste. Lautlos schwang die T ür auf und Corneus trat ein. Mit einem Fingerzeig entzündete er das kleine T alglicht, das neben der T ür in einer Halterung bereit stand, nahm es in die Hand und trat vor einen T isch, auf dem etwa vierzig Glasfläschchen sorgfältig verschlossen und in dunkle T ücher eingewickelt nebeneinander lagen. Ein prüfender Blick bestätigte ihm, dass die Behältnisse unbeschädigt waren. V orsichtig nahm er eine der kleinen Glasflaschen an sich, ging zur T ür und löschte das Licht.
Dann verließ er die Kammer, um mit den V orbereitungen für den letzten Schritt seiner Forschung zu beginnen, denn eines fehlte ihm noch, um den Rat zu überzeugen: der Beweis, dass die Essenz seine Erwartungen und Hoffnungen auch bei Menschen erfüllte.
Vor Monaten hatte er seine Forschungen an dieser Stelle unterbrechen müssen. Der Rat hatte sich mit überwältigender Mehrheit dagegen ausgesprochen, die Schatten im Berg zu zerstören. Offiziell hieß es, man fürchte, die Menschen in Selketien könnten Schaden nehmen, wenn ihre dunkle Seite zerstört würde.
Die W ahrheit hatte Corneus erst später hinter vorgehaltener Hand erfahren. Zum einen gab es eine Gruppe streng bodenständiger Ratsmitglieder, die fürchtete, dass Corneus Orekhs A ndenken durch den Zauber in Ruhm und A nsehen überflügeln könnte. A ndere wiederum hatten A ngst vor der Essenz selbst und davor, dass die Magie außer Kontrolle geraten und auf die Kaste der Magier übergreifen könnte. Corneus’ Gegner hatten diese A ngst im Rat geschürt und so war schnell eine Mehrheit entstanden, die sich per Beschluss gegen die Überzeugung und den ausdrücklichen W unsch ihres Meistermagiers stellte.
Einem solchen Ratsbeschluss hatte sich auch der Meistermagier zu fügen. So hatte Orekh es damals festgelegt und so war es heute noch. Corneus war zornig gewesen. Er hatte allen Einfluss genutzt und alle erdenklichen Hebel in Bewegung gesetzt, um den Beschluss des Rates außer Kraft zu setzen. A ber seine Macht und sein Einfluss waren begrenzt und reichten noch nicht an die Möglichkeiten der ältesten Ratsmitglieder heran. So war er am Ende unterlegen und hatte seine Forschungen einstellen müssen.
Aber das war nun Geschichte.
Ein grimmiges Lächeln umspielte Corneus’ Lippen. Diesmal würde er es sein, der Ängste schüren und seinen W illen durchsetzen würde. A m Ende würde den Magiern gar nichts anderes übrig bleiben, als auf die zerstörerische W irkung seiner Essenz zu vertrauen. Natürlich würden die Hoffnungen der Ratsmitglieder zuerst auf Jemina ruhen, aber diese Hoffnung, dafür hatte er gesorgt, würde sich leider als trügerisch erweisen.
Corneus grinste spöttisch, als er sich ausmalte, wie bestürzt man die Nachricht vom tragischen T od der Novizin im Rat aufnehmen würde. Der A ugenblick der V erzweiflung würde zu seinem T riumph werden. W enn alles verloren schien, würde er sich zum Retter aufschwingen und auch dem letzten Zweifler beweisen, dass Orekhs Schattenzauber hinter der V ollkommenheit seines eigenen Meisterwerks zu einem jämmerlichen Nichts verblasste. Den Beweis für die W irkung der Essenz zu erbringen, war nur eine Formsache. Mit den T ieren hatte er bereits beachtliche Erfolge verzeichnet. Zwei bissige W achhunde waren zu lammfrommen Schoßhündchen geworden. Drei Kampfhähne, die mehrere Rivalen zu T ode gehackt hatten, schienen urplötzlich jedes Interesse an Revierkämpfen verloren zu haben. Corneus stellte für die nahe Zukunft bereits Überlegungen an, wie man der ständigen Bedrohung durch die W olfsrudel mit dem Einsatz seiner Magie entgegenwirken konnte.
Corneus seufzte. W ie so vieles musste auch das warten, bis seine Magie die Zustimmung des Rates erhalten hatte. Es galt den Rat zu überzeugen, dass er allein die einzig wirksame W affe in den Händen hielt, die in der Lage war, die Bedrohung durch die Schatten zu beseitigen – und dazu gab es nur eine Möglichkeit.
Vorsichtig stellte er die Flasche mit der Essenz auf einen T isch, durchquerte das Gewölbe und ging zur T ür, die von zwei Posten bewacht wurde. A ls er die T ür öffnete, nahmen sie sofort Haltung an. Corneus nahm es beiläufig zur Kenntnis. In Gedanken beschäftigte er sich bereits mit dem, was er vorhatte, während er befahl: »Bringt die Gefangenen zu mir.«
Jemina starrte sprachlos nach oben. Die Hohe Feste war ein gigantisches Bauwerk. Größer, schöner und
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