Die Hüterin des Schattenbergs
Durchlass. Und dahinter – ihr Herz machte vor Freude einen Sprung – konnte sie blauen Himmel sehen und Sonnenstrahlen, die durch den Durchlass bis in den Schacht hineinfielen. Das wenige Licht genügte, um ihr neuen Mut zu geben.
Als auch der zweite Drachenreiter den Durchlass passiert hatte und Salvias zum A ufbruch drängte, wollte Rik wieder ihre Hand nehmen, aber Jemina schüttelte den Kopf. »Danke, es geht jetzt wieder.« Sie straffte sich. »Das letzte Stück schaffe ich allein.«
»Sicher?« Rik schaute sie prüfend an.
»Ganz sicher.« Jemina lächelte. »Es ist nicht mehr weit.«
»Dann gehst du vor.« Rik tat einen Schritt zur Seite, damit Jemina die T reppe vor ihm betreten konnte. Jemina legte den Kopf in den Nacken, schaute zu dem sonnendurchfluteten Durchlass hinauf, nahm einen tiefen A temzug und ging los. Das Ende des A ufstiegs vor A ugen schien es, als ob ihr Körper aus verborgenen Quellen noch einmal Kraft schöpfte. Die Last, die auf ihren Schultern gelegen hatte, war wie fortgeblasen. Sie blickte nicht zurück und achtete nicht auf den A bgrund zu ihrer Linken, der immer tiefer wurde, je weiter sie die T reppe hinaufstieg.
Dann hatte sie es geschafft. Erfüllt von einem überwältigenden Glücksgefühl durchschritt Jemina den Durchlass und trat in das Sonnenlicht. Für einen Moment musste sie die A ugen schließen, weil die Sonne so hell schien, dass es schmerzte, aber sie spürte den W ind, der ihr durch die Haare fuhr, die reine Luft des Hochgebirges in ihren Lungen und eine Kühle auf der Haut, die sie frösteln ließ. Die Geräusche hinter ihr verrieten, dass auch Rik und der zweite Drachenreiter den Schacht verlassen hatten und wie sie mit der ungewohnten Helligkeit kämpften; Rik sog die Luft scharf durch die Zähne, der Drachenreiter fluchte leise vor sich hin. Blinzelnd versuchte Jemina, sich umzusehen. Doch mehr als ein paar schemenhafte Umrisse von hohen Gebäuden, die unmittelbar vor ihr wie steinerne Finger in die Höhe ragten, konnte sie nicht erkennen.
Dann endlich klärte sich das Bild.
4
I n den Kellergewölben der Magierfeste war es still.
Eine dünne Staubschicht lag auf den T ischen und Gerätschaften und hüllte diese wie eine Decke den Schlafenden ein.
Langsam, ehrfürchtig fast, schritt Corneus an den langen Regalreihen entlang, die sich in den Jahren seines Forschens mit allerlei T öpfen, T iegeln, Krügen und Gläsern unterschiedlicher Inhalte sowie einer ganzen Reihe Gerätschaften gefüllt hatten, deren Nutzen und V erwendungszweck sich dem unkundigen A uge nicht erschloss. Manches davon hatte Corneus auf Irrwege geführt, aber immer wieder hatten kleine Erfolge ihn dem ersehnten Ziel nähergebracht. Und dann, als er fast schon nicht mehr daran geglaubt hatte, war ihm der Zufall zu Hilfe gekommen und hatte ihm zu jener Formel verholfen, die sein magisches W erk fast vollendete.
Das Ergebnis war die mächtigste magische Essenz, die je ein Magier erschaffen hatte. Es genügte, sie zu trinken, um das Böse, das jedem Lebewesen innewohnte, auf einen Schlag zu zerstören, ohne dabei die guten Eigenschaften zu schädigen.
Die Essenz war überaus wirksam. Einmal getrunken, entwickelten die winzig kleinen Bestandteile im Körper eines Lebewesens ein Eigenleben und machten sich sofort auf die Suche nach den finsteren A bgründen des Bewusstseins. Ein unbändiger, durch Magie verstärkter Hunger trieb sie auf ihrer Suche nach dem Bösen voran, das zu vernichten ihre A ufgabe war. A llerdings war die Essenz sehr empfindlich. W ar der Hunger ihrer Bestandteile gestillt, verlor sie ihre magische Eigenschaft und wurde zu einer gewöhnlichen, wenn auch giftigen, farblosen Flüssigkeit.
Umso erstaunlicher war für Corneus die Entdeckung gewesen, dass alle Nachkommen der Katzen, Hühner und Hunde, die er in seinen V ersuchen verwendet hatte, offenbar ebenfalls ohne eine dunkle Seite geboren wurden. A uf die Menschen übertragen, bedeutete das, dass das Ritual der Reinheit in naher Zukunft überflüssig sein würde. Einer A lleinherrschaft der Magier würde dann nichts mehr im W ege stehen.
Corneus hatte die T ür zu der kleinen Kammer erreicht, in der er die kostbare Essenz in völliger Dunkelheit aufbewahrte. Mehrere Schlösser, natürlicher und magischer A rt, schützten sie vor Diebstahl und Zerstörung. Die herkömmlichen Schlösser öffnete Corneus mit einem eigens dafür angefertigten Bund aus sieben Schlüsseln. Die magischen Schlösser erkannten ihn an seiner
Weitere Kostenlose Bücher