Die Hure Babylon
Antiochia als alte Jungfer enden würde. Dann hatte sie ihn rasch auf die Wange geküsst und sich eilig, ohne einen Blick zurück, entfernt.
Auch über Felipe grübelte Arnaut.
Anscheinend war der noch immer nicht darüber hinweg, dass sie einmal Rivalen um Ermengardas Gunst gewesen waren. Dabei waren sie doch längst wieder Freunde geworden. Vielleicht hatte Jori recht, und Felipe hatte seine Abwesenheit genutzt, um Ermengarda erneut für sich zu gewinnen. Die Vorstellung, dass sie einen anderen gehören könnte, versetzte ihm einen tiefen Stich. Sie hatten sich entzweit. Und doch, in seinem Herzen konnte er nicht von ihr lassen.
Aber zürnen mochte er Felipe nicht. Der junge Vizegraf von Menerba wäre für Ermengarda die weitaus passendere Verbindung gewesen, ein Mann des Hochadels und aus ihren Kreisen. Inzwischen hätte sie gewiss ein paar gesunde Kinder von ihm. War das nicht immer ihr sehnlichster Wunsch gewesen? Er selbst hatte allen nur Unglück gebracht mit dieser sündigen Liebschaft. Deswegen war er jetzt hier. Aber was zum Teufel hatte Felipe auf diesem verdammten Heerzug zu suchen? Da wurde ihm bewusst, dass von den alten Freunden nur Raimon in Narbona geblieben war. Ermengarda musste sich einsam fühlen.
»Was grübelt unser junger Feldherr?«, wollte
Fraire
Aimar wissen, der zu ihm aufgeschlossen war.
»Ich frage mich, warum ihr euch alle diesem Pilgerzug angeschlossen habt? Und jetzt auch noch Felipe.« Er schüttelte den Kopf. »Und was ist mit dir? Warum bist du mitgekommen?«
Aimar lachte. »Jedenfalls nicht, um irgendwelche Sünden zu büßen so wie du. Ich hatte ganz selbstsüchtige Gründe. Es hat mich schon immer gereizt, dieses Land zu besuchen. Eine Pilgerreise nach Jerusalem. Ist das nicht der Lebenswunsch eines jeden guten Christen? Mit der
militia,
so dachte ich, wäre das die bequemste und sicherste Art. Du siehst, ich habe mich gewaltig geirrt. Aber wenigstens gibt es hier gute Gesellschaft.«
»Ich sehe, du redest viel mit Elena.«
»Sie ist ein gutes Weib. Du solltest der Armen mehr Beachtung schenken.«
»Ich weiß, sie ist ein gutes Weib. Aber ich hätte mich nicht mit ihr einlassen sollen. Mir steht,
per deable,
nicht der Sinn nach Weibern.«
»Außer vielleicht nach einer gewissen Türkin.«
»Es reicht, Aimar.« Seine Augen funkelten zornig.
»Ich nehm’s ja schon zurück«, grinste der. »Geht mich auch gar nichts an. Aber warum so mürrisch? Was bedrückt dich?«
»Wenn du mal aufhören willst, von Weibern zu quatschen, dann sag ich’s dir vielleicht.«
»Gut. Dann lass hören.«
»Ich kann in letzter Zeit nicht mehr beten. Ich bemühe mich, aber ich kriege es nicht zustande. Da ist nichts in meinem Herzen außer stumpfer, gähnender Leere. Höchstens Wut.«
»Hat das einen besonderen Grund?«
»Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich träume nachts. Von Blut und Gemetzel. Ich sehe die Augen von Fremden, die ich erschlagen habe, oder von Kameraden, die sich im Todeskampf an mich klammern. Ich wache schweißbedeckt auf und habe Wut. Wut auf Gott. Beten erscheint mir mit jedem Tag sinnloser.«
»Du verlierst doch nicht etwa deinen Glauben?«
»Nein. Aber es scheint unserem Herrgott herzlich wenig zu kümmern, was wir Menschen tun, was mit uns geschieht. Bei all den grauenvollen, ungerechten Dingen … Warum schreitet Gott nicht ein? Warum lässt Er es zu?«
»Vielleicht, weil Er erst am Ende aller Tage darüber richten will.«
»Aber wer das Böse zulässt, ist vielleicht selbst böse.«
Arnaut war ein wenig erschrocken, dass er so etwas Ungeheuerliches gesagt hatte. Aber Aimar schien sich nicht daran zu stoßen.
»Das ist eine Frage für Philosophen, mein Lieber. Ist Gott böse, weil er Böses geschehen lässt? Die Kirche sagt dazu, Gott lässt das Böse geschehen, um uns für unsere Sünden zu strafen.«
»Hör mir auf damit. Diese Predigten kenne ich zur Genüge. Wir armen Sünder sollen uns fürchten und Gottes Werk tun.«
»Und? Fürchtest du dich nicht? Vor dem Fegefeuer, vor der ewigen Verdammnis? Du hast das Kreuz genommen, weil du glaubtest, eine Sünde begangen zu haben.«
»Natürlich fürchte ich die ewige Verdammnis. Wie jeder Christ. Aber inzwischen denke ich, meine Sünde war nur eine kleine, lächerliche Verfehlung. Wem tut schon mein Ehebruch weh, der ja eigentlich kein wirklicher war? Was ist überhaupt ein Ehebruch im Vergleich zu den grausamen Dingen, die wir in der
militia
tun? Und das auch noch im Namen Gottes. Die Gefangenen,
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