Die Hure Babylon
die wir gefoltert und abgeschlachtet haben. Plünderungen und Schändungen, die Toten auf den Schlachtfeldern. Und wie konnte der König sein halbes Heer dem Untergang preisgeben? Tausende sind dabei draufgegangen. Und wenn dies alles Gottes Wille war, was haben die armen Opfer denn überhaupt getan, um solches Unheil zu verdienen? Erinnerst du dich an die Kinderleichen am Mäander, die die Türken zurückgelassen haben? Welche Sünden sollen denn die armen Kinder begangen haben?«
»Niemand weiß, für was das Böse am Ende gut ist«, sagte Aimar ein wenig verlegen. »Oder umgekehrt das Gute.«
»Komm mir nicht mit diesem Unsinn, Aimar, dass wir Gottes geheimen Plan nicht kennen oder so was. Das hört man doch immer von euch Priestern, wenn ihr nicht weiterwisst.«
»Ich meine nur, dass das eine das andere bewirken kann in der endlosen Kette von Ursache und Wirkung.«
»Ich glaube nicht mehr an Gottes Plan. Ist es etwa Gottes Plan, dass die Türken uns vernichten sollen? Wir, die für Ihn in die Schlacht gezogen sind?«
»Wenn es nicht sein Plan ist, was dann? Meinst du, Er schaut einfach zu und lässt uns ins Messer laufen?«
»Nein, ich glaube, Er schaut überhaupt nicht zu. Gott ist abwesend. Denn wenn Er zuschauen würde, müsste ich sagen, Er ist böse. Da ich das aber nicht glaube, muss ich annehmen, wir sind Ihm gleichgültig, Er ist mit anderen Dingen beschäftigt.«
»Und deshalb hältst du es für sinnlos zu beten.«
»Ja. Denn inzwischen glaube ich auch nicht mehr, dass Er uns gerufen hat, für Ihn zu kämpfen, wie behauptet wird. In Wahrheit streiten wir gar nicht für Gott, sondern nur für den Papst. Oder für Abt Clairvaux, der uns allen diesen Pilgerzug aufgeschwatzt hat. Für Prinz Raimon oder für die Königin von Jerusalem meinetwegen, nur nicht für Gott. Und wenn alles nur Menschenwerk ist, dann muss man sich fragen, ob es überhaupt gerecht ist, diesen Krieg zu führen. Warum kämpfen wir gegen die Sarazenen? Noch dazu so weit von unserer Heimat entfernt. Mir haben sie nichts getan. Wegen ein paar Glaubensunterschieden? Ich wette, es hat überhaupt nichts mit Gott oder unserem Glauben zu tun.«
»Das sind ein paar ernste Dinge, die du da ansprichst«, sagte Aimar betroffen, als Arnaut geendet hatte. »Du stellst Gottes Vorsehung in Frage und gleich auch noch die Unfehlbarkeit des Papstes. Ich sage das nur, damit du weißt, dass du wie ein Ketzer klingst. Sei vorsichtig. Es sind schon Leute für weniger gerichtet worden.«
»Gut. Dann sag mir endlich, wie du darüber denkst?«
»In Spanien hatte ich Umgang mit den Mauren. Auch die Muslime glauben an den einen Gott, vielleicht sogar den gleichen wie wir. Und da unsere Religion älter ist, muss man annehmen, sie haben sich bei uns und den Juden bedient. Was ja nicht verwerflich ist, im Gegenteil. Du hast recht, eigentlich sollten wir sie wie Brüder behandeln. Aber Brüder streiten sich nicht selten, wie du weißt. Und was deine andere Frage betrifft, ob es Gott kümmert, was wir Menschen tun, das kann ich dir nicht sagen. Aber dass es bei diesem Krieg um weit mehr als nur um den Glauben geht, das steht wohl außer Frage.«
»Dann hat man uns also betrogen.«
»Weil du gekommen bist, um für Gott zu streiten?«
»Ich und tausend andere.«
»Aber das tut ihr doch auch. Für ein christliches Outremer zumindest.«
»Dafür wären die meisten wohl eher zu Hause geblieben.«
»Ermengarda und andere waren von Anfang an dagegen. Aber du wolltest dich ja nicht belehren lassen, erinnerst du dich? Wenn du ehrlich bist, ist es dir auch nicht um Gott gegangen, sondern nur um deine kleine Seele. Damit dir deine lächerliche Sünde verziehen werde und du ins Paradies kommst.«
Betroffen starrte Arnaut ihn an. Lange ritten sie schweigend nebeneinanderher.
»Entschuldige«, sagte Aimar.
»Nein. Du hast völlig recht. Meine lächerliche Sünde. Ich hätte dableiben sollen.«
»Und was hindert dich, das nächste Schiff zu nehmen?«
Aber darauf wollte Arnaut ihm keine Antwort geben.
Nachdem sie die Berge bezwungen hatten, gelangte die Kolonne der Tolosaner in die flachere Küstenregion von Latakia, wo sie an einem breiten Sandstrand lagerten, bevor sie am nächsten Tag am Meer entlang weiter in Richtung Tortosa marschierten. Dort schlugen sie am Abend des sechsten Reisetages ihre Zelte auf. In diesem Städtchen waren Hamid und Großvater Jaufré sich zum ersten Mal begegnet. Die Geschichte war auf Rocafort oft erzählt worden.
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