Die Hure Babylon
wenigstens hatte er die schöne Gräfin Hodierna von Tripolis sehen wollen, der er so viele berühmte Lieder gewidmet hatte. Hodierna hatte sich um ihn gekümmert, ihn in ein
hospitium
bringen und pflegen lassen. Doch leider war er wenige Tage darauf gestorben, angeblich in ihren Armen.
Zwei Tage später ließen Arnaut und Aimar die Truppe in der Stadt zurück und ritten in die Hügel. Nach einigen Stunden gelang es ihnen, das Anwesen zu finden, das einmal Jaufré und Noura gehört hatte. Das Haupthaus war zu einer kleinen Burg ausgebaut worden. Dort wurden sie herzlich von der Familie empfangen. Blonde Kinder tollten im Hof, wo Arnauts Großmutter bei einem Türkenüberfall den Tod gefunden hatte.
»Unsere Eltern sind leider verstorben«, sagte der jetzige Besitzer, ein freundlicher Edelmann um die fünfzig. Er war der Sohn des bärenstarken Normannen, der einst Jaufrés Waffenmeister gewesen war. »Aber wir erinnern uns noch gut an deinen Großvater.«
»Und Nouras Grab?«, fragte Arnaut. »Gibt es das noch?«
»Natürlich. Gleich an der Kirchmauer im Dorf. Wir haben es nicht verkommen lassen. Schließlich verdanken wir Jaufré diesen Besitz. Und deine Großmutter hat uns Kinder gepflegt, wenn wir krank waren.«
Das Dorf war eine Maronitensiedlung, wo die Bauern in der Hauptsache Aramäisch sprachen. Der Priester führte sie zu Nouras Grab. Als Arnaut die verwitterten Schriftzeichen auf dem Grabstein las, rührte es ihn zu Tränen.
NOURA
AMATA·MATER·UXORQUE
ANNO·DOMINI·MCX
CUM·MAGNO·SUORUM·LUCTU·VITA·CESSIT
CUIUS·ANIMA·REQUIESCAT·IN·PACE
EXEGIT · HOC · MONUMENTUM
GOFFREDUS · MONTALBANUS
CUM · ADELA · FILIA
Im Geiste übersetzte er für sich die Inschrift:
Zur großen Trauer der Ihren verstarb Noura, geliebte Mutter und Gemahlin, im Jahre des Herrn 1110. Möge ihre Seele in Frieden ruhen. Errichtet von Goffredus Montalbanus und Tochter Adela.
Sie standen lange still und gedachten einer Frau, die sie beide nie gekannt hatten und die doch die Ahnherrin der
familia
war, Jaufrés große Liebe. Besonders für Arnaut war dies ein bewegender Augenblick. Noch nie war ihm so deutlich wie jetzt bewusst, dass er Wurzeln in diesem Land besaß. Sie war armenische Christin gewesen, eine Tochter Syriens aus einer wohlhabenden Familie von Ärzten und Kaufleuten, die alle ihr Leben im Sturm der westlichen Ritter verloren hatten, außer sie selbst. Und trotz allem hatte sie einem dieser fremden Ritter ihr Herz geschenkt.
»Ich hatte ihm versprochen, Nouras Grab zu besuchen«, sagte Aimar, ebenfalls bewegt. »Ich bin froh, dass wir zusammen hier sind.«
»Ich weiß.« Arnaut wischte sich die Tränen von der Wange. »Meine Mutter wollte es mir ausreden.« Er legte Aimar den Arm um die Schulter. »Und recht hatte sie. Verdammt langer und gefährlicher Weg, nur um ein Grab zu besuchen.«
Er nahm die kleine, verblichene Figur der Jungfrau Maria aus der Gürteltasche und stellte sie auf den Grabstein.
»Da ist deine Madonna, Großmutter«, murmelte er. »Sie hat uns alle beschützt. Wie du es dir erhofft hast.«
»
Mon Dieu.
Du hast das Figürchen noch?«
»Immer bei mir.«
Sie ließen sich im Gras nieder. Es war angenehm neben der Maronitenkirche. Das Dorf lag auf einer Anhöhe, und ein warmer Wind von den sonnengetränkten Feldern wehte durch die dunklen Pinien, die ihnen in der Nachmittagssonne Schatten boten. Arnaut ließ seine Blicke über die weite Landschaft schweifen, die bestellten Felder, die grünen Hügel. Ein Falke rüttelte hoch oben am Himmel, ging in einen Gleitflug über und schwang sich an anderer Stelle erneut in die Höhe.
»Hier ließe es sich gut leben«, sagte er. »Ich habe es mir überlegt, Aimar. Ich werde ganz hierbleiben. Wenn wir schon nicht für Gott, sondern für ein christliches Outremer kämpfen, dann soll sich meine Mühe wenigstens lohnen.«
»Du willst Rocafort aufgeben?«
»Rocafort hat Raol. Und da ist ja auch noch mein Bruder Robert.«
»An Ermengarda denkst du nicht?«
Arnaut rupfte einen Grashalm aus und kaute gedankenverloren darauf herum. Allzu lebhaft und schmerzhaft war die Erinnerung an ihren großen Streit und wie Ermengarda ihn wie einen Hund von ihrem Land verjagt hatte.
»Dazu ist es zu spät«, sagte er. »Was so zerbrochen ist, lässt sich nicht mehr heilen.«
»Und bei welchem Herrn willst du dienen?«
Arnaut warf den Grashalm weg. »Sollte es Bertran gelingen, die Grafschaft für sich in Besitz zu nehmen, oder einen Teil davon,
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