Die Hure Babylon
konnte man schon gut die weißen Spitzen des Libanongebirges sehen, an dessen westlichen Ausläufern Tripolis lag. Östlich von ihnen wussten sie die Burg Krak des Chevaliers, die der gegenwärtige Graf Raimon von Tripolis vor ein paar Jahren dem Ritterorden der Hospitaliers de Saint-Jean überlassen hatte, den Johannitern. Sie bewachte die wichtigen Handelswege zu den muslimischen Städten Homs und Hama, die im fruchtbaren Orontestal lagen. In südöstlicher Richtung, weit hinter Homs, begann die Wüste, wo Beduinen hausten und die Karawanen aus dem Osten bedrohten, weshalb diese nicht ohne schwerbewaffnete Begleitung auskamen.
Von Tortosa waren es noch zwei Tagesreisen. Bertran war ausgezeichneter Laune, sprach mit den einheimischen Führern und sah sich aufmerksam um, als wollte er sich schon mit allen Einzelheiten seines zukünftigen Reiches vertraut machen. Auch Joan de Berzi hatte seine sorgenvolle Miene abgelegt und war wieder zu Frohsinn und Scherzen aufgelegt. Auf halbem Weg von Tortosa deutete er auf eine ferne Burg, die sich östlich von der Küstenstraße in den Hügeln erhob. Arima, so werde sie genannt, sagten die Führer, eine gut befestigte Anlage. Bertran fand, es gebe kaum eine bessere Lage, um die wichtige Küstenstraße zu beherrschen. Vielleicht sollte man die Burg noch stärker ausbauen.
Am Nachmittag des zweiten Tages waren sie bis in Sichtweite der Stadtmauern von Tripolis gekommen. »Hier trennen wir uns, mein Freund«, sagte Bertran zu Arnaut. »Ich bin sicher, die wissen schon, dass wir hier sind. Aber ich werde deinen Rat befolgen und die Stadt umgehen. Du kannst mir später berichten, wenn wir uns in Acre wiedersehen. Bleib nicht zu lange.«
Arnaut und Aimar näherten sich der alten Phönizierstadt mit Neugierde und fast so etwas wie Ehrfurcht. Hier hatte Jaufré so viele Jahre verbracht, hatte am langjährigen Kampf um die Grafschaft teilgenommen, an Raubzügen gegen Hama, Homs und Damaskus. Hier war Alfons Jordan, Bertrans Vater, noch während der Belagerung geboren worden, hier hatte Adela ihre Kindheit verbracht. Für Bruder Aimar, dem Jaufré vor vielen Jahren, als sein Sohn Raol noch als verschollen galt, sein ganzes Leben und seine Geheimnisse anvertraut hatte, war es wie ein Heimkommen. Immer schon hatte er sich gewünscht, diesen Ort eines Tages besuchen zu dürfen.
Sie fanden Unterkunft in einer großen Herberge mit ausgedehnten Stallungen in den Außenbezirken der Stadt. Tripolis war längst zu klein für seine Befestigungen geworden. Ein Meer von Häusern und Hütten erstreckte sich zwischen der gewaltigen Ringmauer und der trutzigen Burg Mons Pelegrinus, die auf einem Hügel gegenüber lag und deren
castelan
Jaufré einst gewesen war. Ein großer, hässlicher Klotz, von Bertrans Großvater in nur einem Jahr errichtet, um den Verteidigern von Tripolis die Versorgung abzuschneiden. Die heutigen Grafen lebten aber in der Stadt, im alten Palast der einstigen arabischen Herrscher.
»Es ist seltsam«, sagte
Fraire
Aimar, als sie am Abend durch das bunte, von Genuesen verwaltete Hafenviertel schlenderten. Die Kais waren voller Schiffe, Kaschemmen an jeder Ecke, Seeleute aus allen Teilen des Mittelmeeres, Straßenverkäufer, orthodoxe Priester, arabische Händler, Huren, Bettler und provenzalische Soldaten. »Ich meine, diese Mischung aus Ost und West ist erstaunlich. Wohin man sich auch wendet, man hört Arabisch, Griechisch, das Ligurische der genuesischen Seeleute und dazu überall unsere eigene
lenga romana.
Durch Jaufrés Erzählungen kommt mir vieles so bekannt vor. Alles ist fremd und zugleich vertraut. Ein verwirrendes Gefühl.«
»Aber die
Keusche Barbara
gibt es wohl nicht mehr«, lachte Arnaut. Gemeint war das Hurenhaus einer berüchtigten Dame, bei der Jaufré und seine Kumpane einst die Nächte durchzecht hatten.
»Zum Glück. Sie wäre inzwischen doch ein bisschen alt für dich.«
Als sie im Grafenpalast ihre Aufwartung machen wollten, hieß es, das Fürstenpaar sei eiligst und mit kleinem Gefolge nach Acre aufgebrochen.
»Alle Wege scheinen nach Acre zu führen«, sagte Arnaut.
»Vielleicht entscheidet sich dort das Schicksal unseres Freundes Bertran.«
»Zum Besten, hoffe ich.«
Am nächsten Morgen besuchten sie Jaufré Rudels Grab. Der große Dichter, den sie aus seiner Zeit in Narbona kannten, war von Konstantinopel auf dem gleichen Schiff wie Felipe gekommen. Sterbenskrank hatte man ihn an Land getragen, um ihm den letzten Wunsch zu erfüllen. Einmal
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