Die Hure Babylon
weißen Segel der Fischerboote den weiten Horizont des Marmarameeres.
Vor ihnen stampfte eine Dromone durch die See, ein massiges byzantinisches Kriegsschiff, dessen hundert Ruderblätter jedes Mal im Sonnenlicht aufblitzten, wenn sie sich im Gleichtakt aus dem Wasser hoben. Dieses und zwei weitere Kriegsschiffe schienen den Truppentransport zu überwachen.
Ein Blick zurück zeigte, dass immer mehr Schiffe von der Küste ablegten. Über den weißen Wellenkämmen sah man die Helme der Krieger in der Sonne aufblitzen, die sich mühten, die Tiere bei diesem Wetter ruhig zu halten.
Das ganze Unternehmen war von einer atemberaubenden Größenordnung. Es würde drei Tage benötigen, diese Heerschar von zwanzigtausend überzusetzen, davon allein viertausend Berittene mit ihren Pferden, an die zwölftausend Fußsoldaten, der Rest ein Gefolge von Pilgern, Mönchen, Huren, Maultiertreibern, Handwerkern, Knechten und Eheweibern. Allein um zehn Tage Nahrung und Tierfutter mitzuführen, wurden an die achttausend Maultiere benötigt, die natürlich selbst einen Großteil der eigenen Lasten verfraßen. Ochsenkarren wären besser gewesen, leider wenig geeignet auf den steinigen Gebirgspfaden Anatolias.
Arnaut fragte sich, wie später im Landesinnern diese Masse an Mensch und Tier verpflegt werden sollte. Es hieß, Kaiser Manuel habe die Versorgung des Heeres bis nach Antiochia zugesagt. Jedoch erst nachdem König Louis versprochen hatte, alle vormals byzantinischen Gebiete, die sie erobern würden, zurückzugeben. Aber ob den Byzantinern zu trauen war? Sie hatten schon einmal vor fünfzig Jahren die lateinischen Ritter im Stich gelassen. Außerdem machten Gerüchte die Runde, dass Manuel mit den Türken geheime Abkommen habe.
Die Landung gestaltete sich weniger schwierig als gedacht. Während die größeren Schiffe den Hafen anliefen, ließen die Rudergänger der kleineren, wie die Galeote, ihr Gefährt in einer geschützten Bucht einfach auf den flachen Strand auflaufen. Die fränkischen Krieger sprangen ins hüfttiefe Wasser, wateten an Land und halfen, die Schiffe weiter auf den Strand zu ziehen. Pferde und Maultiere wurden in Schlinggurte gehängt und an Hebebäumen über die Reling gehievt, zuletzt der Rest der Ladung von Bord geschleppt und am Strand aufgetürmt. Dann wurde die Galeote wieder ins Meer geschoben, um die nächste Fuhre zu holen.
Nachdem immer mehr Schiffe gelandet waren, bot der Strand ein Bild heillosen Durcheinanders an Waffen, Material, Proviant und Gepäck, brüllenden Männern und widerspenstigen, wiehernden Gäulen. Anführer wie Arnaut ließen Standarten aufpflanzen, damit sich ihre Männer, die auf verschiedenen Schiffen gekommen waren, samt Tieren und Gepäck um sie sammeln konnten. Arnauts Truppe war auf über fünfzig Reiter angeschwollen, denn seit er zu den Tolosanern unter Führung des Grafensohns Bertran de Sant Gilles zählte, hatten sich noch weitere provenzalische Söldner unter sein Banner gestellt.
»Da kommen schon die nächsten Boote«, rief Bertran. »Wir müssen schleunigst vom Strand weg, sonst gibt es hier bald keinen Fußbreit Platz mehr.«
»Meine Männer beladen gerade die Packtiere«, erwiderte Arnaut. »Wenn’s recht ist, marschiere ich schon mal zu den Sammelplätzen.«
Ein Teil der Truppen des Grafen von Tolosa war auf dem Landweg gekommen.
Coms
Alfons Jordan selbst aber plante mit seiner persönlichen Hausmacht per Schiff zu reisen. Raimon, sein dreizehnjähriger Sohn und Erbe, war in Tolosa geblieben. Bertran dagegen, ein junger Mann in Arnauts Alter, entstammte einer unehelichen Verbindung, ein Umstand, mit dem er sich sichtlich schwertat, denn er war äußerst empfindlich und aufbrausend, wenn es um seine persönliche Ehre ging. Gleichzeitig war er jedoch wenig dünkelhaft im Umgang und jederzeit offen für die Nöte seiner Männer. Ihm hatte der Vater also diese Abteilung der Tolosaner Heermacht anvertraut, in der Hauptsache Reiter.
Bertran hatte sich den Beinamen Sant Gille gegeben, nach dem Ort, wo die Familie große Ländereien besaß und wo er aufgewachsen war. Vielleicht aber auch, um an seinen berühmtem Großvater Raimon de Sant Gille zu erinnern, dem Erstürmer Jerusalems und Eroberer der Grafschaft Tripolis. Dass auch Arnauts Großvater Jaufré unter diesem Raimon gekämpft hatte, hatte sie einander nähergebracht. Immer wieder wollte Bertran alles hören, was Arnaut aus Jaufrés Erzählungen wusste, und so waren sie auf dem langen Weg bis Konstantinopel
Weitere Kostenlose Bücher