Die Hure Babylon
Tolosa. Es dauerte drei volle Tage, nur um die Marschordnung festzulegen. Eine einheitliche Befehlskette gab es nicht, und jeder kleine Fürst oder Kriegsherr hatte eigene Vorstellungen, wo sein Platz im Heer des Königs sein sollte. Viele drängte es in die Vorhut, weil sie meinten, sich dort besser hervortun zu können, andere fanden es entwürdigend, den Tross zu bewachen. Eifersüchteleien mussten berücksichtigt und Streithähne auseinandergehalten werden. Aber für Arnaut war das nichts Neues. Schon auf dem gesamten Landweg war es so gegangen. Schließlich setzte sich die unabsehbar lange Schlange von Mensch und Tier in Bewegung, und nach sieben Tagen durch eine grüne, fruchtbare Landschaft erreichten sie das alte Nicäa. Am Ufer des großen Sees und nur wenige Steinwürfe von der Wehrmauer entfernt, wurde das Lager aufgeschlagen.
Arnaut war immer wieder erstaunt, wie viel Platz der Bereich des Königs einnahm, wo jedes Mal eine ganze Stadt von prunkvollen Zelten aus der Wiese sprang. Unter den Fürsten, die dem König nahe sein wollten, befanden sich große Namen wie Thierry d’Alsace, Renaud de Bar, Amédée de Savoie, Guillaume de Montferrat. Jeder reiste mit gebührendem Gefolge. Dazu ganze Heerscharen von edlen Damen und Gespielinnen der Königin mit ihren endlosen Wagenladungen an Gepäck, mit ihren Mägden, Dienern und Kaplanen, buntgezäumten Pferden, nicht zu vergessen den vielen
trobadors
und
joglars,
auf die die feine Hofgesellschaft nicht verzichten wollte. Es ging zu wie auf einem Jahrmarkt und nicht wie in einem Heerlager, und besonders abends konnte man die Klänge der höfischen Vergnügungen hören und das Gelächter der edlen Herren beim Mahl.
Das unbekümmerte Treiben des Hofes stand in seltsamem Gegensatz zur religiösen Inbrunst, mit der der junge König und seine Ritter vor Antritt der Reise in der Kirche von Saint Denis die heilige Kommunion und Gottes Segen empfangen hatten. Noch weniger passte die bunte Schar zu den Strapazen des langen Marsches oder überhaupt in diese fremdartige Landschaft. Arnaut fragte sich, wer sie beschützen sollte, wenn es zu einer ernsthaften Schlacht mit den Türken kommen würde.
Bruder Aimar war begierig, das geschichtsträchtige Nicäa zu erforschen, wo im vierten Jahrhundert unter Kaiser Constantin das große, entscheidende Konzil der Christenheit stattgefunden hatte. Alle Kirchen ließen sich die Freunde zeigen, besonders beeindruckend die Hagia Sophia, die alte Römerkirche, aber auch andere Bauten aus dieser Zeit wie das antike Theater und die immer noch mächtigen Befestigungen und Stadttore.
Bisher hatten die Byzantiner ihr Wort gehalten und das Heer gut versorgt, obwohl die Alemannen erst vor drei Wochen plündernd durch die Gegend gezogen waren. Mit vollen Weinschläuchen zur Hand und gefüllten Bäuchen konnte die Stimmung nicht besser sein. Ein paar Tage Rast, dann würde es weiter in Richtung Doryläum gehen, auf dem gleichen Weg quer durch das Landesinnere, den die Alemannen genommen hatten, wie auch schon die erste
militia christi
fünfzig Jahre zuvor.
Den Rat der Griechen, aus Sicherheit doch besser durch die byzantinisch beherrschten Küstenregionen zu marschieren, hatten Louis wie auch Konrad abgelehnt. Trotz anfänglichen Zögerns des jungen und in Kriegsdingen unerfahrenen Königs hatten seine Heerführer alle Vorsicht in den Wind geschlagen. Der direkte Weg sei ihnen lieber, und vor den Seldschuken fürchte man sich nicht, schließlich war man ihretwegen hier. Außerdem heizten die täglichen Gebete und Gesänge der Mönche die religiöse Inbrunst ebenso an wie die Ungeduld, mit der man dem ersten Feindkontakt entgegenfieberte. Mit Gott auf der Seite der Gerechten war der Sieg gewiss. Nur ärgerlich, dass die verdammten Alemannen vorausmarschierten. Die würden als Erste dem Feind begegnen, und da war nur zu hoffen, dass einem noch etwas zu kämpfen übrig bleiben würde.
»Arnaut, erzähl uns mehr von diesen Seldschuken«, bat Bertran de Sant Gille. Auch ihn hatte das Kriegsfieber gepackt. Ruhm und Ehre waren zum Greifen nahe.
In großer Runde saßen sie um ein Lagerfeuer und ließen die Weinschläuche kreisen. Der Abend war sternenklar, aber kalt, so dass die Männer sich Decken und Schafspelze um die Schultern geschlungen hatten. Der flackernde Schein der Flammen erhellte ihre Gesichter. Zugegen waren auch
Fraire
Aimar, in seiner Ordenstracht, Severin und noch einige Anführer aus Bertrans Haufen. Darunter der massige Joan de
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