Die Hure: Roman (German Edition)
kichert und wischt sich mit dem Finger die Mundwinkel ab.
Am Wegrand steht ein weißer Stier. Aphrodite läuft zu ihm und streichelt sein weiches Maul. »Was ich mit dir gemacht habe, tut mir leid«, sagt der Stier. Aphrodite ist völlig verdattert. Was in aller Welt hat sie mit dem Stier getrieben, wann, und wie betrunken war sie?
»Also … ich bin in Wahrheit Zeus«, erklärt der Stier. Aphrodite verschränkt die Arme vor der Brust. »Die Scheidungspapiere sind schon fertig, nur deine Unterschrift fehlt noch.« In der Aktentasche, auf die der Stier zeigt, findet Aphrodite die offiziellen Dokumente, die sie aus der Ehe mit Hephaistos befreien. »Auch er hat endlich eingesehen, dass man einen anderen Menschen nicht besitzen kann.«
Aphrodite setzt ihre Unterschrift auf die Scheidungsurkunde und legt sie in die Aktentasche zurück.
»Wohin willst du?«, fragt der Stier.
»Ich habe hier noch eine Aufgabe zu erfüllen.«
»Was für eine?«
»Na ja, es ist so eine Art … Missionstätigkeit.«
Als Geste der Versöhnung bietet der Stier Aphrodite an, sie in die Stadt zu bringen. Der unverbesserliche Frauenheld Zeus unternimmt zumindest einen kleinen Versuch, die bezaubernde Göttin der Liebe zu verführen. Und es kann sein, dass er auch ein bisschen Erfolg hat, aber das ist definitiv eine Nebenhandlung.
Aphrodite und der Stier kommen nach Bangkok. Auch hier steigt Rauch auf, wie in Pattaya. Aber der Rauch stammt nicht von abgebrannten Häusern. Irgendwer erzählt, es würden Föten verbrannt. Aphrodite regt sich auf: »Wie weit seid ihr Menschen jetzt schon wieder gegangen?« Man sagt ihr, nein, nein, das sei eine gute Sache. Endlich sei die Verdorbenheit der verzerrten Abtreibungsgesetze ans Tageslicht gekommen.
Aphrodite spaziert durch die Straßen von Bangkok. Die Bordelle sind in Bauernläden verwandelt worden, in denen man zum Beispiel Mangosprösslinge kaufen kann. In den Striptease-Bars sind kostenlose Gesundheitszentren entstanden. In den Massagesalons wird echte, traditionelle Thaimassage angeboten, und die Personen, die dort arbeiten, sind voll bekleidet.
Aphrodite betritt einen dieser Massagesalons. »Guten Tag«, sagt sie. »Was bedeutet Sex für Sie?«
Die Frau unterbricht ihre Arbeit und sagt, Sex sei das Schönste und Tollste, was zwischen zwei Menschen geschehen könne. Er sei eine göttliche Handlung, ein Akt der Liebe und ein Freudenfest der Körperlichkeit.
»Ich bedanke mich für die Antwort«, jubelt Aphrodite.
Die Stadt ist voll von Menschen, die gesund und zufrieden aussehen. Fast wie auf den Paradiesbildern der Zeugen Jehovas. »Moment mal, das ist doch nicht etwa Jehova-Kram?«, fragt Aphrodite einen Mann auf der Straße.
»Ganz und gar nicht, wir haben die männlichen Götter und all das abgesetzt.«
Aphrodite sucht ein Internet-Café, um die Nachrichten aus aller Welt zu lesen. Es stellt sich heraus, dass auch in anderen Ländern Asiens große Veränderungen eingetreten sind. Man hat anerkannt, dass die Frauen ebenso vollwertige Menschen sind wie die Männer, und deshalb beschlossen, in ihre Ausbildung und Gesundheit zu investieren. Die chinesischen Waisenhäuser erhalten beträchtliche staatliche Subventionen und haben qualifiziertes Personal eingestellt. Die indischen Ehe- und Erbgesetze sind von Grund auf umgestaltet worden, weil man festgestellt hat, dass sie unvorstellbar frauenfeindlich waren. Der Anteil der lesekundigen Frauen soll innerhalb der nächsten fünf Jahre überall auf hundert Prozent gehoben werden.
Auf der Straße trifft Aphrodite ein Mädchen und einen Jungen, die Gummitwist spielen. Sie fragt die beiden, welches das höchste Gut sei.
»Ich weiß nicht, aber wirtschaftlicher Gewinn auf keinen Fall«, antwortet das Mädchen.
»Vielleicht die Freiheit«, schlägt der Junge vor.
»Aber sag mal, bist du nicht die Göttin der Liebe?«, ruft das Mädchen. »He, kommt mal alle her, hier ist die Göttin der Liebe!!«
Und alle kommen. Die Menschen bitten Aphrodite um ein Autogramm und wollen mit ihr fotografiert werden. Aphrodite bleibt eine Weile bei ihnen. Doch dann überkommt sie das Heimweh.
Ich denke, ich gehe nach Hause, denn jetzt ist ja alles gut, sagt sie zu dem Mann, mit dem sie das Hotelzimmer geteilt hat. Der Mann antwortet, heutzutage sei eine Frau auch zu Hause in Sicherheit. »Ich meinte mein Heimatland«, präzisiert Aphrodite.
»Auch das Heimatland ist jetzt ungefährlich für die Frauen«, erwidert der Mann lächelnd und sieht so süß aus,
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