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Die Hure und der Henker

Die Hure und der Henker

Titel: Die Hure und der Henker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Arlt
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dem Kind eine Bibel und eine
kostbare Ausgabe der Aldinischen »Odyssee« hinterlassen hatte.
    David, meinte
er, könne ja der nächste Sohn heißen. Aber dieser sei der Stammhalter. Sei der
Fortführer der männlichen Linie. Er müsse deshalb wie ein Kober genannt werden.
Also Joachim wie er. Oder Balthasar wie sein Vater.
    Er nahm ihre Hand und steckte
ihr einen Ring mit einem blaugrünen Opal an den Finger. Ihr Vater hätte auch
gern einen Sohn gehabt. Einen Fortführer seiner Schulreform, einen Nachfolger,
aber das hing ja wohl nicht an den Namen.
    Man einigte
sich auf Balthasar David, wobei Balthasar der Rufname sein sollte, aber nannte
das Kind bald schon Baltzer.
    Wenn man
Valentin glauben konnte, hatte Kober damals, Ende 1619, am Ende jenes Jahres,
da im September sein Sohn geboren wurde, allen Grund, zufrieden zu sein.
    Und zwar ganz im Gegensatz zu
Judith, die trotz des Kindes das Gefühl, ihr fehle etwas, nicht loswurde. Der
oft nicht recht gewesen war, dass der Vater bei Tischgesprächen Kober
zurechtwies. »Da irrst du dich, Schwiegersohn. Von wegen deutsche Ordnung! Die
Buchführung haben die Italiener erfunden. Saldo! Giro! Storno! Konto!« Die oft
verstimmt gewesen war, wenn der Vater, bei Diskussionen mit dem Messer
fuchtelnd, nicht achtgab. »Vater, passt auf, Ihr kleckert wieder!« Man kann
sich doch nicht nach Krümeln und Fettflecken sehnen!
    Martini kam. Jenne briet eine
knusprige, mit einer Masse aus Ei, eingeweichtem Weißbrot, zerkleinerten
Innereien, Muskat und Petersilie gefüllte Martinsgans. Kober war über zwei
auslaufende Verträge erleichtert und würde mit dem Bankhaus Weiler &Essenbrücher
in Berlin einen neuen schließen. Die Kurrendeknaben sangen vorm Haus und Judith
warf ihnen aus dem Fenster Münzen hinunter. Die Adventszeit kam und mit ihr der
Schnee. Anton musste die Kutsche mit dem Pferdeschlitten vertauschen, doch
musste Kober nun seltener nach auswärts. Also saß Anton bei Jenne am Herd und
spaltete die vom letzten Schlachten aufbewahrten Röhrenknochen der Schweinsfüße,
deren Hälften man sich unter die Schuhe band, um mit ihnen über das Eis der
Dömnitz oder der westlich vom Buchholzer Tor wie in jedem Jahr angestauten
Roddahn zu schlittern. Auch Valentin wollte Schlittschuhe haben. Aber da hatte
Anton schön alle verkauft und mehr als vier Eisbeine hatte kein Schwein.
    Das
Weihnachtsfest kam, zu dem man sich wechselseitig besuchte. Kober überraschte
Judith mit einem Augsburger Schreibschrank, nicht, weil Weihnachten war,
sondern weil er die kostbaren Intarsien und das raffinierte Ineinander von
sichtbaren und unsichtbaren Fächern, geheimen Türen und sich drehenden Wänden
für die Mutter seines Sohnes als einzig angemessen empfand. Nickend, den
Kleinen an der Brust, hörte sie den anderen zu. »Merkst du, wie die Milch
einschießt, wenn er schreit?« Die Frauen waren in diesem Raum unter sich.
Hoffentlich klang ihre Stimme nicht auch so, wenn sie mit ihrem Kleinen sprach.
Das Mädchen der Benzin schlief schon. »Sag mal, willst du nicht schlafen?«,
sprach sie streng ihren Sohn an. »Sieh mal auf die Uhr, wie spät es schon ist.«
Dabei deutete sie, den Blick nicht von ihm lassend, zur Standuhr hinüber. »Das
versteht er doch noch nicht!«, sagte die Neufeld.
    Immer hatte
Judith ihrem Vater übel genommen, dass es zehn, elf Jahre lang, immer, wenn sie
davon sprach, zum Heiraten für sie viel zu früh war. Immer war dazu noch Zeit
gewesen. Und dann, von einem Tag zum andern, wie ihr bei der Morgensuppe
mitgeteilt wurde, war es fast schon zu spät! Vor Matthias Chemnitz, den man
immer noch den Miles nannte, obwohl es schon sein Großvater war, der wegen
eines anderen Chemnitz in Harnisch geriet und mit der Armee Nikolaus Federmanns
durch Südamerika ritt, vor diesem kleinen schmächtigen Burschen, der bestrebt
war, aus dem Schandnamen Miles einen Titel zu machen, indem er Bücher wie
»Kavallerie – Kriegskunst zu Pferde« las und von nichts anderem redete als von
Schlachten, Scharmützeln, Belagerungen, Festungsbau, Rekrutierung, Strategie
und Taktik und der Kunst des Krieges zu Wasser und zu Lande, hatte sie schon
Benígna gewarnt. Auch hegte der Vater selbst, nachdem er dem Miles einen Abend
lang zugehört hatte, Zweifel an seinem Einfall, doch wie er dann auf Kober
gekommen war, wusste sie nicht.
    Jedenfalls
hätte sie es schlimmer treffen können. In den gepolsterten Lehnstuhl
geschmiegt, das schlafende Kind im Arm, während Benígna am Clavichord saß

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