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Die Hure und der Henker

Die Hure und der Henker

Titel: Die Hure und der Henker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Arlt
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Wahrheit,
dass an diesen sechs Bänden acht Männer fünfzehn Jahre lang gearbeitet hatten,
beeindruckte die fünf geharnischten Reiter, die sich als kaiserliche Patrouille
ausgaben, nicht im Geringsten.
    »Ach, was
haben wir denn da!« Zwei hielten den Vater fest, die anderen drei durchwühlten
den Wagen. Nachdem sie uns um das erleichtert hatten, was sie gebrauchen
konnten, und wir den Wagen schon wieder besteigen durften, nur den Vater
hielten sie noch, fiel ihnen noch mehr ein, das sie gebrauchen konnten. Der
eine legte schon seinen Beinharnisch ab. Einer ging nach vorn zu Jura. »Komm
mal her, mein Süßer.« Einer griff nach mir und nannte mich Täubchen.
    »Faaahr!«,
schrie der Vater Jura zu. »Fahr! Fahr! Fahr!!!« Und dabei riss er sich los und
kam zu uns gerannt und geriet an den, der mich gewollt hatte. Der zu Jura
wollte, kam dem andern zu Hilfe. Wir hörten »Faaahrt!« und Jura fuhr und wir
sahen unseren Vater nie wieder.
    Nein, ich hab
deinen Valentin immer recht gut verstanden, wenn er mir von euren zwei Jahren
erzählte. Ich wusste, wovon er sprach. Ohne Not ist es leicht, ein Gewissen zu
haben.

 
    8
     
     
     
    Außerdem
belastete die Lage, in der Valentin sich damals befand, kein Gewissen: ein
junger Mann, neunzehn bei ihrer Hochzeit, der es genauso nötig hatte, sein
Fleisch in einem Weibe zu dämpfen wie Kober, nur dass Kober ein Weib dazu hatte
und ein Haus, das er einmal erben würde, und ein anderes Haus, Heinischens, das
er schon geerbt hatte. Und ein gut gehendes Unternehmen mit Speicherarbeitern,
Packern, Kontoristen, Agenten, Fuhr- und Ladeknechten dazu. Und Wagen, die nach
Berlin und nach Teterow fuhren, nach Parchim, Lübz, Rostock, Frankfurt und
Guben, »Doas ist beinahe scho Schlesien«, sagte die schlesische Elsbeth, mit
Wagen, die einmal im Jahr sogar nach Süddeutschland fuhren, nach Augsburg!
    Und dank
seines Vaters, des Bürgermeisters Balthasar Kober, hatte er auch Beziehungen
zum regierenden Rat. Dank seiner Mutter, die eine geborene Kunow war, auch
Beziehungen zum alten Rat, dank seiner Judith Beziehungen zu den Chemnitzen,
die sich mit den Kunows um den Rang der ersten Familie in der Stadt seit Jahrhunderten
stritten. Und dank seiner Mitgliedschaft in Kaufmannsgilde und Schützenverein
Beziehungen nicht nur zur Bürgerschaft, die wichtig sein würden, wenn es
demnächst darum ging, ihn zum Schöffen zu wählen, sondern beiläufig auch zu
Konrektor Pflücke, Valentins Kollegen, der überall Mitglied war. Der Vorsteher
des wurde und Ältester der und Schatzmeister hier und Schriftführer dort, der
hier ein Töpfchen Honig verehrte und da zu Gevatter bat und der auf diese Weise
auch immer alles erfuhr, der an billiges Gartenland kam und das Braurecht
erwarb und die Erlaubnis, sich das Röhrenwasser ins Schulhaus legen zu lassen,
wofür, nach Valentins Meinung, der Himmel ihn mit dem Gezänk der Frauen
bestrafte, denn das Röhrenwasser floss durch zwei Küchen, erst die des Rektors,
dann die des Konrektors, und bei Frau Konrektor kam auch manchmal Schmutzwasser
an. Der Konrektor warf Valentin dessen Aufstieg vor. Valentin Klein sei nicht
wegen besonderer Fähigkeiten, sondern nur durch die Protektion des alten
Heinisch Bibliothekar der Stadt Pritzwalk geworden.
    »Das weiß ich nicht«, sagte
Kober. Er wollte die Bibliothek nur aus seinem Haus haben und hoffte, die Stadt
werde möglichst bald geeignete Räume dafür finden.
    Kober hatte
aber auch Geduld und die Gabe, nicht im falschen Moment den Mund aufzumachen.
Kober hatte ein gefälliges Aussehen, war von mittelgroßer, schlanker Gestalt.
Seine dunkelbraunen, fast schwarzen Haare waren immer sorgsam in der Mitte
gescheitelt und fielen in weichen Wellen auf die Schultern hinab. Er hatte ein
kantiges Kinn, volle Lippen, eine längliche Nase und graue Augen von wachsam
freundlichem Ausdruck. Dazu hatte er von frühester Kindheit an von seiner
Mutter gehört, dass er nicht so unordentlich herumlaufen solle: »Merk dir: Wie
du kommst gegangen/ so wirst du empfangen.« Er kam deshalb immer in modischen
Stiefeln gegangen, immer in Wams und Hosen nach neuestem Schnitt, in sand-,
ocker- oder ziegelfarbenen Anzügen, in schwarzem Samtwams, das seitlich
geschlitzt war, sodass man darunter ein kostbares Hemd sehen konnte, und
überhaupt ging er nicht nur mit der Mode, sondern mit ihr auch den anderen
voran.
    Hörten die
Pritzwalker auf, ihre Halskrausen stärken zu lassen, und ließen sie endlich
über die Schulter weich fallen, sagte

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