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Die Hure und der Henker

Die Hure und der Henker

Titel: Die Hure und der Henker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Arlt
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allmählich vergaßen.«
    »Wie man ja hört«, knurrte
Kober. Er knurrte es leise und beugte sich vor, um Benígna mit erhobenem Glas
zu grüßen. Auch Benígna hob ihres. Alles ging seinen Gang. Man aß, man trank,
man erzählte, man lachte. Vor allem lachte der Kammergerichtsrat aus Berlin,
und zwar über die nächtlich wandernden Leitern in Pritzwalk. »Waas? Und die
Hunde auch?! Und die haben nicht gebellt? Aber von Wordenhoffs zu
Lindenschmidts, das ist doch ein ganz schönes Stück!«
    »Von Lindenschmidts zu Kunows
ja auch!«, pflichtete der lange Henning ihm bei.
    »Und der Hund von Gartzens
war beim Nachtwächter Ostermann angebunden.«
    »Übrigens:
Der Nachtwächter! Joachim, weißt du, wie spät es schon ist?«
    Kober wusste
es. Natürlich. Außerdem sah er die Uhr. Aber jetzt war es gerade gemütlich. Es
ging um die Hebungen einer Mühle und wie sie sich in Zahlen ausdrücken ließen.
    »Joachim, du,
lass uns gehen.«
    Kober ließ ja
auch, aber nicht gleich. Es war ja auch nicht er, der aufstehen, nach dem Kind
sehen, es stillen und umhertragen musste. Außerdem fand er, Benígna spiele so
schön. »Noch einmal, Benígna.« Auch die anderen baten und Benígna, obwohl sie
doch auch sehen musste, dass Judith müde war, klappte das Clavichord wieder
auf. Auf dem hier, bei den Großeltern, spielte sie lieber.
    Eigentlich
stand gelber Atlas ihr nicht.
    Und der
Hintern wurde von der Eilfertigkeit, mit welcher der lange Henning ihr den
Stuhl unterschob, auch nicht schmaler.
    »Kober, komm, ich kann nicht
mehr.«
    »Ein Lied
noch.«
    »In dulci jubilohoho.«
    Es ging alles
seinen Gang. Wie schon beim Trauermahl. Wie schon beim Namen des Kindes. Es
ging seinen Gang. Seinen. Nicht ihren.

 
    9
     
     
     
    Der Gedanke,
dass sie Valentin mit noch viel mehr erfreuen könnte als mit den kleinen
Imbissen, die sie ihm gelegentlich in die Bibliothek brachte, kam ihr damals
auch erst, als er schon an die Bruderschaft zu schreiben begann.
    »Hier,
Valentin, Ihr mochtet doch Entenleber? Sie ist aber kalt.« Sie stellte den
Teller mit der Leber auf den Tisch, zog Mespelbrunns Brief aus der
Schürzentasche, den Ulla ihr aufgeregt gebracht hatte, den vornehmen Brief mit
Siegel und Wappen. »Und hier ist ein Brief für Euch. Er kam mit der Reitpost,
sagt Ulla.«
    Er nahm ihn,
drehte ihn, sah auf Anschrift, Absender, Siegel. Der Brief überraschte ihn, das
erkannte sie, aber so lange sie dann auch vor dem Schrank mit ihren
Kräuterbüchern hockte, kramte, blätterte, von Salbei bei Halsschmerzen und
Rosmarin bei Altersgebrechlichkeit las – er aß zwar die Leber, wie sie aus den
Augenwinkeln sah, fragte nach einer Weile auch, ob er ihr behilflich sein
könne, hatte, wie?, nein, noch nichts über die Kommission, die gebildet worden
war, gehört, die den Spitzbuben ausfindig machen sollte, der nachts Leitern,
Hunde, Wäsche durch die Stadt wandern ließ, aber der Brief blieb unberührt.
Weiß und sein Geheimnis verbergend, lag er da mit seinem blutroten Siegel.
»Kober ist auch in der Kommission«, sagte sie noch. Sie musste hinunter. Sie
hörte Jenne unten schimpfen und Robert heulen. Sie wollte auch gar nicht
wissen, was in dem Brief stand.
    Mespelbrunns Brief hatte ihn
damals in der Tat überrascht. Christoph Echter von Mespelbrunn schrieb ihm?
Sein adliger Kommilitone aus Leipzig?
    Er hatte
keinen Grund, Judith mitzuteilen, dass er sich wieder auf einem Stuhl
festgebunden sah, in seinem Gesicht wieder Stiefelwichse und Ziegelmehl spürte,
wieder das Grinsen der Stärkeren ertrug, Krügers, Kleinschmidts, Grafs, von
Rauschenbergs, von Lepkes und Eggers’, Namen, die er sich für immer gemerkt
hatte, was seid ihr? – Pennäler – lauter: Was seid ihr? – Pennäler, dass
Mespelbrunn wieder kalt und böse »Nein« sagte, als er ihm riet: »Sprich lieber
mit.«
    Was für ein schönes Papier!
Er griff nach dem Papiermesser. »Salve Valentine…« – der Brief war lateinisch.
    Er wurde
darin an Leipzig erinnert, an seinen Fleiß, die Ratsbibliothek, die Konspekte,
die er verkaufte. Auch er, Mespelbrunn, habe sich damals Valentins bemerkenswerter
Fähigkeit, den Inhalt eines dicken Buches auf wenige Seiten zusammenzudrängen,
manchmal bedient.
    Und kurz vor Valentins
Abreise, die übrigens jedermann überraschte, habe er in einem der Konspekte
damals das Folgende gefunden, das behalten zu haben Valentin ihm nicht übel
nehmen möge. Seine plötzliche Abreise habe die Rückgabe unmöglich gemacht. Auch
habe er das Gedicht

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