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Die Hure und der Henker

Die Hure und der Henker

Titel: Die Hure und der Henker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Arlt
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diesmal fanden wir ihn hinter der Kuh, wo
Margarete ihn vom Melkschemel hochzog und auf den Hof bugsierte, ihn durch den
Schnee vorwärtsstupste, in Richtung Schweinestall. »Vašek! Es hilft doch
nichts.«
    Ich machte
noch mit. Ich war noch bei ihnen. Sah wie alle durch die Fenster der Küche zu,
wie Vašek mit hängenden Armen zum Stall trottete.
    Hinter uns
warteten die leeren Kessel, Töpfe und Tröge, die sich erst füllen würden, wenn
der Hausvater vor der zu schlachtenden Sau den Hut gezogen und sie dafür, dass
wir sie töten würden, um Verzeihung gebeten hatte. Aber unweit von Hranice
hatte einer unserer in den Wäldern sich versteckenden Priester, wie man sich seit
Wochen schon zuflüsterte, in Notwehr einen umherstreunenden neapolitanischen
Soldaten erschlagen. Was, während man die Schweinehälften an die Leitern
hängte, während gehackt, gehauen und geschnitten wurde, offenbar nur mir noch
zu denken gab.
    »Sorka! Träum nicht!« Ich
sollte dem dicken Ondra, Vášeks Bruder, die Schüssel mit den Innereien abnehmen
und sie unserer Mutter weiterreichen. Dann schälte ich Zwiebeln.
    So konnte ich wenigstens den
Tränenschleier dafür verantwortlich machen, dass sie mir alle so fremd
vorkamen.
    Glaubten sie wirklich, was
man uns lehrte? Mussten wir wirklich, wie der Vater schon hatte durchblicken
lassen, wegen unseres evangelischen Glaubens die Heimat verlassen? Obwohl wir
doch auch als Katholiken an Gott glauben konnten?
    Da zerrieb Ondras Frau Salz
und Gewürze für den Wurstteig im Mörser. Dort holte unser Vater mit der Zange
den heißen Stein aus der Esse.
    »Vorsicht!«
    Die Zange mit
dem Stein fuhr durch die Stube zum Wassertrog, in den der Stein fiel. Das
Wasser begann zu sieden und Margarete und unsere Mutter legten das Laken mit
den Würsten hinein.
    Wollten sie
wirklich das alles hier nicht mehr? Den Wurstteig kneten, im Kessel rühren, in
der Mittagspause Wellfleisch und Sauerkraut essen?
    Schon damals,
als die Gebete unseres Vaters bei Tisch immer länger wurden, »… und sei mit
allen, die jetzt unverdient an den Bettelstab kommen, sei mit allen, die nun
außer Landes gehen müssen…«, schon damals, als auch wir außer Landes gehen
mussten, denn im Sommer 1627 wurde das Gesetz des Kaisers, das der Vater
vorausgesehen hatte, erlassen: katholisch oder Emigrant werden, eines von
beiden, schon damals, als wir uns noch ein letztes Mal in der Höhle
versammelten, Gottes Führung auf unserem Weg zu erbitten, war ich froh, dass
der Priester, es war ein neuer, ein fremder, Bruder Xylin, uns von den Brüdern
aus Polen gesandt, dass Xylin das Hus-Zitat verkürzt wiedergab: »Hör die
Wahrheit, sag die Wahrheit, verteidige die Wahrheit.« Wenigstens, dachte ich,
nicht bis zum Tode.
     
     
    Die Wahrheit!
    Von der ich
nicht mehr wusste, wo sie denn war.
    Jura saß beim
Vater auf dem Kutschbock, ich mit der Mutter hinten am Querscheit. Wir sagten
nichts, warfen nur einen letzten Blick noch auf unseren Hügel. Das schwarze
Balkenhaus, die Ställe, die Werkstatt. Sahen alles langsam im Hügel versinken,
jetzt noch die obere Fensterkante, jetzt noch den Giebel, jetzt nichts mehr.
Hörten das Schleifen unter uns rechts, denn der Vater hatte einen Radschuh
untergelegt, war doch der schwer beladene Wagen bergab von den Pferden allein nicht
zu bremsen.
    Da hinten war
Stramberg. Wir sahen noch den Turm der Burg, in der auch die aufständischen
Wallachen ihren Kampf gegen den Kaiser verloren. Da waren die Täler. Die
Ortschaften. Da waren die vertrauten Berge, der Holivák und der Puntík. Und wo
war die Wahrheit?
    Beim Vater,
der ein in Leder gewickeltes Paket gegen den Willen der Mutter mitnahm?
    »Jeroným,
lass das hier!«
    »Nein!« Der Vater schüttelte
heftig den Kopf. »Nein, Eva. Das ist die Kralitzer Bibel!«
    »Ja eben!
Meinst du denn, wenn sie evangelische Priester umbringen, verschonen sie
evangelische Drucker?«
    »Es steht
geschrieben«, sagte der Vater, »Psalm einundneunzig: ›Er kennt meinen Namen,
darum will ich ihn schützen.‹«
    »Und es steht
auch geschrieben bei Jesus Sirach: ›Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin
um.‹«
    Oder war die
Wahrheit bei der Mutter, die ihm die sechs schweren Bände entriss und sie
wieder zurück ins Haus tragen wollte? Aber der Vater holte sie ein und Jura und
ich sahen uns ungläubig an. So konnte unsere Mutter auch sein? Die sonst immer
so sanft und nachgiebig war, dass der Vater einmal lachend gesagt hatte,
wahrscheinlich habe sie keine Galle?
    Die

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