Die Hure Und Der Moench
»Ehrwürdiger Vater, ich versuche entschieden alles, um nicht so zu werden wie meine Mutter.«
Der Priester trug ihr auf, den Eltern zu sagen, dass sie jeden Morgen und Abend Gebete sprechen und nur alles Sündhafte zum Scheiterhaufen bringen sollten.
Angelina bahnte sich ihren Weg zurück durch die Menschenmenge. Die Piazza della Signoria mied sie, weil sie vollkommen überfüllt war.
Sie verbrachte die Nacht in Francescos ehemaligem Zimmer. Von den Kirchen klangen immer wieder die Glocken herüber. In die |309| Stille dazwischen mischte sich das Klingeln der Glöckchen von Huren und die rauen Schreie der nächtlichen Kontrahenten. Kalte Nachtluft drang zum Fenster herein. Katzen schrien und fauchten, während sie sich balgten. Was würde der morgige Tag bringen?
In diesem Bett also hatte Francesco geschlafen, hier hatten sie sich geküsst, hier hätte sie sich ihm um ein Haar hingegeben. Bei dem Gedanken wurde ihr warm. Eine Ewigkeit lag sie in Gedanken, Bilder kamen und gingen. Sie hörte ein Geräusch und fuhr auf. Ihr Herz begann zu klopfen. Angelina sah, wie sich die Türklinke bewegte. Knarrend öffnete sich die Tür und eine Gestalt kam herein. Es war Eleonore. Aber die war doch gestorben? Ihr Gesicht war bleich, von blondem Haar umrahmt. Sie trug ein weißes, fließendes Kleid. Eleonore winkte Angelina mit einer Bewegung ihrer kleinen Hand zu sich. Wie von Fäden gezogen, stand Angelina auf und folgte Eleonore, die Stiege hinunter, durch die Gassen, die vollkommen verlassen waren. Sie erreichten die Piazza del Duomo. Mächtig erhob sich der Dom vor ihnen in der Dunkelheit. In dem riesigen Raum duftete es nach Weihrauch. Dumpf hallten ihre Schritte durch das Schiff. Sie verließen den Dom durch einen Seiteneingang und erreichten eine Krypta, die von außen an den Dom angebaut war. Es ging hinunter in die Grabkammer. Eleonore zeigte auf einen der Steinsärge und verschwand. Angelina war steifgefroren, sie hatte Angst. Doch die Neugier trieb sie dazu, in den Sarg hineinzuschauen. Von den modernden Knochen lächelte ihr ihr eigenes Antlitz entgegen – da lag ihr Bild, das Francesco gemalt hatte. Angelina schrie auf. Helles Licht fiel durch das Fenster herein, von unten kamen die Geräusche von Botticelli, der das Frühstück vorbereitete. Angelina atmete tief durch. Ihr war kalt. Der Geruch des Weihrauchs haftete noch an ihr.
Sie stand auf, kleidete sich eilig an, stieg die Treppe hinunter und fand Botticelli an seinem gemauerten Herd. Sollte sie ihm von ihrem nächtlichen Erlebnis erzählen? Warum eigentlich nicht? Botticelli stellte eine Kanne mit Würzwein auf den Tisch, schnitt Brot und Käse auf. Bald würden die Malergesellen kommen und |310| ihr Frühmahl einnehmen. Angelina setzte sich, nahm Brot und Käse und biss hinein.
»Habt Ihr gut geschlafen?«, wollte der Meister wissen.
»Ich hatte einen seltsamen Traum«, antwortete Angelina. »Eine verstorbene Freundin besuchte mich in meiner Kammer, Ihr kennt ihren Namen: Eleonore Scroffa.«
»Ich erinnere mich an sie. Hatte ja die Ehre, Gast in ihrem Haus in Grassina zu sein. Gott sei ihrer armen Seele gnädig!«
»Sie führte mich zum Dom«, setzte Angelina ihren Bericht fort. »Dort, in der Krypta, in einem Steinsarg, war Francescos Bild aufbewahrt.«
»Das ist seltsam«, sagte Botticelli. »Mir träumte heute Nacht, dass der Teufel auf dem Scheiterhaufen Savonarolas Züge trage und in die Flammen stürzte.« Er nahm einen Schluck Würzwein. »Tod und Leben liegen so nah beieinander. Ich weiß wohl, dass Francesco mit diesem Bild ein sehr gutes Werk abgeliefert hat. Aber ich habe immer Blut und Wasser geschwitzt bei dem Gedanken, es in meinem Haus zu haben. Vielleicht hat Francesco, dieses Schlitzohr, es wirklich in einer Kirche versteckt. Ihr habt doch bestimmt schon von Michelangelo gehört?«
»Ja«, sagte Angelina. »Er wohnte im Palast der Medici, bis Lorenzo de’ Medici 1492 starb. Piero de’ Medici hatte keine Verwendung für ihn, so dass er zu seinen Eltern zurückging.«
»Michelangelo Buonarotti drang in den Nächten in die Kirche San Spirito ein und sezierte Leichen, die dort aufgebahrt waren. Er musste die Körper bis auf den Grund studieren, um seine Figuren nach dem Leben malen und aus Marmor gestalten zu können. Es war sehr gefährlich für ihn, da die Kirche das Sezieren von Leichen ja verboten hat.«
»Also deshalb wirken seine Figuren so lebendig!«, bemerkte Angelina entsetzt.
Die Gesellen des Meisters erschienen
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