Die Hure Und Der Moench
Ihr seht aus, als könntet Ihr ihn gebrauchen.«
»Das habe ich erlebt«, antwortete Angelina und nahm dankbar den heißen Wein entgegen. »Wollust und Völlerei zählen zu den Hauptsünden, ich weiß. Die
Fanciulli
haben die Wirtschaft von Rinaldo geschlossen und ihn und seine Töchter für eine Nacht inhaftiert.«
»Savonarola maßt sich an, Gott zu sein«, sagte Botticelli. »Dabei sind seine
Fanciulli
in Wahrheit Diebe, Passantenquäler, Lustknaben und Totschläger. Das nenne ich den Teufel mit dem Beelzebub austreiben!«
»Wenn Ihr Savonarola durchschaut habt, warum hängt Ihr ihm weiterhin an?«, wollte Angelina wissen.
»Ich könnte sonst nicht mehr malen.« Traurig schaute er in seinen Weinbecher.
»Aber Ihr habt doch Bilder nach Rom verkauft, nach Siena?«
»Das reicht nicht aus«, meinte Botticelli. »Und ich muss morgen einige meiner Bilder verbrennen, Savonarola will es so. Es ist ein offenes Geheimnis, dass ich ›sündige‹ Bilder gemalt habe.«
»Könntet Ihr nicht irgendwelche Bilder nehmen?«, fragte Angelina.
»Nein, meine Bilder sind den
Fanciulli
bekannt«, war die Antwort des Meisters. »Aber beruhigt Euch, ich werde nicht die Besten nehmen. Es gibt noch ein paar, die der Nachwelt nicht unbedingt erhalten bleiben müssen.«
Botticelli zwinkerte Angelina zu und fuhr fort: »Von den Bildern, |307| die das Antlitz meiner Muse zeigen, werde ich keines opfern. Sie sind gut versteckt.«
»Noch etwas wollte ich von Euch wissen«, sagte Angelina und stellte den Becher ab. »Warum hat sich Francesco von Euch getrennt?«
»Ach, wegen Savonarola, weswegen sonst«, gab Botticelli mürrisch zurück.
»Wisst Ihr, wo er sich aufhält?«
»Er hat es mir nicht gesagt«, grummelte er. »Ihr könnt erst einmal hier übernachten«, fügte er hinzu, als er ihre verzweifelte Miene sah.
Vor dem Schlafengehen zog es Angelina unwiderstehlich zum Dom. Sie musste noch einmal beichten, musste ihr Gewissen erleichtern, auch wenn Mutter Elisa sie davor gewarnt hatte, wieder dorthin zu gehen. Und noch etwas anderes trieb sie an: die Erinnerung an die letzte Beichte, die dunkle, starke Gefühle in ihr wachgerufen hatte.
Das Gewitter hatte glänzende Mauern zurück gelassen. Esdampfte, die Stadt kochte vor dem großen Ereignis. Die Menschen drängten sich in den Gassen, schoben sich zur Piazza della Signoria, wo der Scheiterhaufen aufgerichtet wurde. Im Dom herrschte emsiges Treiben. Die
Fanciulli
waren damit beschäftigt, die letzten ›Eitelkeiten‹ hinauszutragen. Am Beichtstuhl warteten viele Gläubige, um ihre Sünden zu beichten. Als Angelina an der Reihe war, kribbelten ihre Hände vor Erwartung und Angst. Sie wusste, dass es derselbe Priester sein würde, der ihr das letzte Sündenbekenntnis abgenommen hatte.
»Warum bist du nicht mehr gekommen?«, fragte der Priester. Seine Stimme klang streng. »Ich hatte dir die Beichte als Buße auferlegt.«
»Ich habe im Kloster gebeichtet.« Angelina gab sich einen Ruck und fuhr fort: »Ehrwürdiger Vater, ich bin selbst ein Kind der Sünde.«
»Was meinst du damit?«, fragte es scharf hinter dem Vorhang. |308| Was tat sie da, um Himmels willen? Wollte sie alles nur schlimmer machen? Aber darauf kam es jetzt nicht mehr an. Etwas unendlich Starkes hatte von ihr Besitz ergriffen. Der Priester zog sie an wie ein Magnet.
»Meine Mutter hat schwer gesündigt«, sagte sie klar und deutlich. »Sie war eine Hure. Ich bin der Bastard, der aus dieser Sünde hervorgegangen ist. Später hat sie die Ehe gebrochen.«
»Und was hat dein Vater dazu gesagt?«
»Ich weiß nicht, ob sie es ihm erzählt hat. Aber er hat ja selber ständig die Ehe gebrochen. Wer weiß, ob nicht andere Kinder, Bastarde, daraus entstanden sind.«
Jetzt war es heraus. Angelina fühlte sich erleichtert, dass nun alle Sünden ihrer Familie ans Licht gebracht worden waren. Irgendetwas sagte ihr, dass dies der richtige Weg war, der sie ihrer eigenen Sünde und ihrem Peiniger von damals Schritt für Schritt näher bringen würde, bis sie das Rätsel endlich gelöst hatte.
»Du bist selber eine Hure«, sagte der Priester kalt.
Angelina erschrak zutiefst. War es nicht das, was sie befürchtete, seit Tante Bergitta das Geheimnis ihrer Mutter gelüftet hatte? Irgendjemand hatte das schon einmal zu ihr gesagt. Doch so sehr sie sich auch anstrengte, ihr fiel nicht ein, wann und wo das gewesen sein konnte.
»Hast du die Sprache verloren?«, kam es barsch von dem Priester.
Angelina räusperte sich.
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