Die Hure Und Der Moench
lärmend, ließen sich an den Tischen nieder. Angelina wurde bewusst, was für ein Tag heute war. Von draußen drangen die Gesänge der
Fanciulli
herein, gemischt |311| mit den Rufen der Bürger und dem Rumpeln von Leiterwagen. Angelina fuhr zusammen, als es heftig an der Tür klopfte. Fieberhaft überlegte sie, ob sie ›sündige‹ Dinge in ihrem Besitz hatte. Ihren Schmuck und ein paar Schminktöpfe hatte sie in der Effektenkammer des Klosters gelassen. Aber das Kleid! Das befand sich in ihrem Reisebündel. Mutter Elisa hatte es ihr mitgegeben. Wie lange es her war, dass sie es getragen hatte! Während Botticelli zur Tür ging, eilte sie die Treppe hinauf. Sie zog das knisternde Kleid aus dem Bündel. Von unten her hörte sie einen Jungen mit Stimmbruch sagen: »Eitelkeiten!« Gewiss hatte er ein langes weißes Engelshemd an und den Ölbaumzweig in der Hand. Neuerdings wurden die
Fanciulli
auch von einem erwachsenen Wächter beschützt, da sie von erbosten Bürgern schon verprügelt worden waren. Angelina sah sich schnell im Zimmer um. Es gab keine Möglichkeit, das Kleid zu verstecken. Sollte sie es in einen der kleinen Teppiche einrollen? Wie hatte denn Francesco ihr Bild aufbewahrt, um es vor den Augen der
Fanciulli
zu verbergen? Gewiss hatte er ein frommes Bild darübergespannt. Angelina lächelte. Sie entledigte sich kurzentschlossen ihres grauen Reisekleides, zog das kostbare Gewand über, ohne es zu schnüren, so dass es sich in der Taille ausbeulte, und darüber das Reisekleid, als Letztes den schwarzen Mantel. Sie schulterte ihr Bündel. Auf der Treppe begegneten ihr die beiden
Fanciulli
und der Wächter.
»Ihr habt wohl schnell noch etwas versteckt?«, fragte der größere der Jungen Angelina. »Lasst mich das Bündel sehen.«
Er griff danach, schaute hinein und wühlte darin herum.
»Nichts«, sagte er zu den anderen. Sie setzten ihren Weg nach oben fort. Angelina setzte sich wieder zu Botticelli an den Tisch und hörte sie rumoren. Sie kamen mit leeren Händen zurück.
»Francesco Rosso scheint ausgeflogen. Wo ist er hin?«
Botticelli schüttelte den Kopf. Die beiden durchsuchten nun die Werkstatt, wie sie es bestimmt schon ein halbes Dutzend Mal getan hatten. Sie beschlagnahmten einige antike Statuen, die Botticelli von seinen Reisen mitgebracht haben mochte und die er in der |312| hintersten Ecke der Nische mit den Esswaren versteckt hatte. Einige seiner Bilder nahmen sie nur deshalb nicht mit, weil Botticelli ihnen hoch und heilig versicherte, er werde sie am Abend eigenhändig ins Feuer werfen. Die Jungen und ihr Wächter verließen grußlos das Haus, gleich darauf hörte Angelina ihren Handkarren davonrumpeln. Betroffen schaute sie zu Botticelli hinüber. Er war ganz eingesunken, starrte vor sich hin. Aber er weinte nicht.
»Auch in der Kunst müssen Opfer gebracht werden«, sagte er mit müder Stimme.
»Recht so, Sandro«, stimmte ihm einer der Gesellen zu. »Ohne Märtyrer hätte auch das Christentum nicht überlebt.«
»Wir wollen jetzt an die Arbeit gehen«, ordnete Botticelli an, und Angelina verabschiedete sich.
Es war ein bitterkalter Tag mit einem Wind, der ihr die Tränen in die Augen trieb. Aber mit den beiden Kleidern und dem Mantel war es ihr warm genug. Sie ließ sich von der aufgeregten Menge treiben. Die Menschen drängten zur Piazza della Signoria. Mitten auf diesem Platz war ein riesiges Holzgerüst aufgebaut, fast ebenso groß und breit wie das vor einem Jahr. Angelina schätzte die Holzpyramide auf fünfundvierzig Fuß hoch und hundertfünfzig Fuß breit. Sieben Stufen symbolisierten die sieben Todsünden. Die
Fanciulli
hatten alles eingesammelt, was sie vor einem Jahr nicht entdecken konnten. Zuunterst waren Lauten, Spielwürfel, Bälle, Schminktöpfe, Spiegel und Masken aufgereiht, darüber folgten prächtige Gewänder, Hauben, Perlenketten, Diamanten, Fischgrätkorsette, dann Bilder und Bücher. Angelina wusste, dass Bände von Aristophanes, Ovid und Dichtung von Petrarca und Boccaccio darunter waren. Sie waren als ›die Sinne reizend‹ verpönt. Ganz oben standen Götter der Antike, Statuen aus Holz oder Wachs; darüber thronte eine schwarze Gestalt mit Ziegenfüßen und einem langen, zottigen Bart. Das war der Teufel. Angelina lief ein Schauer den Rücken herab. Sie wurde fast erdrückt, und so kämpfte sie sich einen Weg durch die eng aneinandergepressten Leiber. Sie wollte noch einmal zum Dom gehen, um nach der Krypta zu suchen. Aber |313| der Domplatz war
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