Die Hure Und Der Moench
nicht so weit gekommen«, entgegnete sie. »In den Straßen habe ich zwei dieser Leichenwagen gesehen.«
»Ach, das muss nicht viel heißen. Im vergangenen Frühjahr ist |60| die Krankheit ebenfalls kurz aufgetaucht und war dann bald wieder verschwunden.«
»Ja, aber direkt danach begegnete ich Signor Tomasio Venduti. Es war, als hätte er schon auf mich gewartet. Er sagte mir, dass er gerade von einem Besuch bei meinen Eltern zurückkehre und dass sie geäußert hätten, ihre Tochter sei entlaufen. Ich sei nicht mehr ihre Tochter. Meine Familie will in wenigen Tagen auf das Landgut reisen, um den Auswirkungen der Pest zu entgehen.«
Francesco pfiff durch die Zähne.
»Oje, das ist eine höchst verzwickte Lage«, meinte er. »Hier könnt Ihr allerdings nicht bleiben. Botticelli würde es nicht dulden, und es würde ein schlechtes Licht auf Euch werfen.« Er zwinkerte ihr zu, und sie musste an sich halten, um nicht wütend zu werden. Francesco trat an die Staffelei, zog das Tuch von dem Bild und blieb einige Augenblicke versonnen davor stehen.
»Mir ist etwas eingefallen«, sagte er dann und strahlte sie an. »Heute Nacht könnt Ihr in einer der alten Mägdekammern übernachten. Morgen versuche ich Euch zu Eleonore Scroffa zu bringen, einer Base von mir, die sich mit ihrem Mann und ihren Kindern in der Nähe auf einem Landsitz befindet.«
»Und Ihr, Francesco, was ist mit Euch?«
»Ich habe die Pest schon einmal überlebt«, gab er zurück. »Aber alles, was Ihr jetzt braucht, ist eine Unterkunft. Kommt, wir gehen zu Lucas hinüber, vielleicht kann er uns einen Rat geben.«
Lucas Bandocci bediente gerade einige Kundinnen, als sie in den Laden kamen. Nachdem er sie abgefertigt hatte, wandte er sich den beiden zu.
»Womit kann ich Euch helfen?«, fragte er, an Angelina gewandt.
»Wir brauchen deinen Rat«, gab Francesco zur Antwort. »Angelina kann nicht mehr nach Hause zurück. Ich will sie morgen auf das Landgut meiner Base, nach Grassina, bringen. Nun hat sie aber weder Kleidung noch finanzielle Mittel.«
»Du meinst, wie eine dahergelaufene Küchenmagd?« Lucas lächelte breit.
|61| »Ich habe meine Beziehungen«, sagte er. »Bring sie mit einem Pferdekarren dorthin, für Kleider und Geld werde ich sorgen.«
Angelina stellte sich vor, wie er sich heimlich mit Sonia traf. Sie war in diesem Moment unendlich dankbar dafür, dass sie offensichtlich Freunde hatte. »Morgen früh werde ich zur Stelle sein«, murmelte sie verlegen.
Den Abend verbrachten Francesco und sie mit einer Sitzung, doch Angelina fiel es schwer, stillzuhalten. Francesco malte schweigend, bis er schließlich den Pinsel hinwarf mit den Worten:
»Das wird heute nichts mehr, liebe Angelina! Gehen wir zu Bett.«
Die Mägdekammer war klein und roch etwas muffig. Angelina war jedoch zu müde, um sich daran zu stören, kleidete sich aus bis auf das Hemd und kroch in das Bett, das mit einer Strohmatratze, Kissen und Decke ausgestattet war. Ob Francesco noch einmal zu ihr hereinschauen würde? Sie wünschte es sich ganz stark und fürchtete sich gleichzeitig davor.
Fast war sie eingeschlafen, als sie ein Geräusch hörte. Angelina zuckte zusammen. Jemand hatte an ihre Tür geklopft. Francesco huschte herein und setzte sich an den Rand ihres Bettes. Angelina setzte sich befangen auf, ihr war heiß. Hatte er ihre Gedanken erraten?
»Ich wollte Euch noch eine gute Nacht wünschen«, sagte er, »und Euch fragen, ob Ihr nicht doch noch einmal zu Euren Eltern gehen wollt. Ich habe kein gutes Gefühl dabei, Euch aus der Stadt wegzubringen.«
Bei der Aussicht, zu ihren Eltern zurückzukehren, eingesperrt zu werden und Signor Venduti heiraten zu müssen, sträubte sich alles in Angelina. Sie würden sich schon wieder mit ihr versöhnen. Zusammen mit Francesco aufs Land zu fahren war viel aufregender!
»Ich habe es mir gut überlegt.« Sie verschränkte die Arme. »Ich kann nicht zurückkehren, das verbietet mir mein Stolz. Meine Eltern haben mich behandelt wie eine …«
|62| »Wie eine Hure?«
»Ja«, sagte Angelina und senkte den Kopf.
»Ich bin ihnen nicht gut genug, das weiß ich«, entgegnete Francesco. Seine Stimme klang traurig. Er küsste sie auf die Haare und wünschte ihr eine gute Nacht. Er hätte ruhig noch eine Weile bleiben können. War er auf ihren Ruf bedacht? Aber der war sowieso dahin, wie ihre Eltern zu glauben meinten. Sie warf sich wütend in die Kissen und weinte.
Am anderen Morgen wurde Angelina durch die Karren geweckt,
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