Die Hure Und Der Moench
Nachmittag rief Matteo Scroffa seine Familie und die Gäste zusammen, um einen Spaziergang in die Weinberge zu unternehmen. Auch Botticellis Aufregung hatte sich inzwischen gelegt, so dass er sich bereit erklärte, an der Wanderung teilzunehmen. Alle trugen breitkrempige Hüte, um die Gesichter vor der immer noch starken Sonneneinstrahlung zu schützen. Nach einer halben Stunde erreichten sie die Spitze des Weinbergs. Still und friedlich lag die Landschaft da. Aufatmend ließ sich Angelina auf einem großen Stein nieder, der in der Nachmittagssonne glänzte. Die anderen standen plaudernd in Gruppen herum. Mit einem Mal zerrissen Schreie diese Ruhe, die sich zu einem immer lauteren Wehklagen steigerten. Erschrocken setzte sich die Schar in Bewegung.
Die Schreie kamen von weiter unten, dort, wo Angelina das Lager der Zigeuner gesehen hatte. Sie liefen schneller den Berg hinab. Auf halber Höhe erstarrte Angelina. Eine Gruppe von Bauern war offensichtlich dabei, die unbewaffneten Zigeuner niederzumetzeln. Sie stachen mit Mistgabeln und Schlachtmessern auf sie ein. »Nein! Nein!« Angelina lief gehetzt weiter, bis sie am Ort des Geschehens eintraf. Ein Bild des Grauens bot sich ihren Augen. Die Zigeuner, Männer, Frauen und Kinder, lagen in ihrem Blut am Boden. Auch die alte Frau war unter den Opfern. Ihre Glieder waren grässlich verstümmelt. Es roch süß und metallisch nach Blut.
»Was habt ihr getan?«, schrie Matteo.
»Sie haben uns die Pest in unseren Ort gebracht!«, gab einer der Bauern zurück. »Fünf Menschen sind schon gestorben, ein Mann, zwei Frauen und zwei Kinder. Wer, wenn nicht sie, soll dafür verantwortlich sein?«
»Haltet sofort damit ein!«, schrie Matteo mit rotem Gesicht. Bei den Leuten schien es sich um Untergebene von ihm zu handeln. »Ihr werdet der gerechten Strafe zugeführt, ich selbst werde über euch Gericht halten!«
»Habt ihr wenigstens einen Arzt oder einen Bader geholt, der eure Pestkranken behandelt?«, fragte Signora Scroffa entsetzt.
|110| »War zu spät, sie sind alle innerhalb von ein paar Stunden gestorben.«
Angelina fühlte sich wie gelähmt. Die Zigeunerin hatte ihr erst vor kurzem die Zukunft weisgesagt. Und jetzt lag sie hier in ihrem Blut! Angelinas Zähne schlugen aufeinander. Auch in Francescos und in den Augen der anderen sah sie die nackte Angst.
»Kommt«, Matteo winkte ihnen zu. »Wir gehen nach Hause zurück und beraten, was zu tun ist. Die Zigeuner werden ein anständiges Begräbnis erhalten.«
Die grässlichen Bilder noch vor Augen, stolperte Angelina dahin. Nach der Rückkehr auf den Gutshof versammelten sich alle, auch die Diener, im Nebenraum des Hauses. Angelina war immer noch wie betäubt, doch sie zwang sich, aufmerksam zuzuhören. Mit ernstem Gesicht schilderte Matteo die Lage.
»Die Pest ist nun auch zu uns aufs Land gekommen. Gott sei den armen Seelen und denen der Zigeuner gnädig! Die Bauern werden hart bestraft werden. Noch heute Abend werde ich das Nötige veranlassen. Ich lasse sie auspeitschen! Aber nun zu uns. Wir können hier nicht länger bleiben.« Er schüttelte den Kopf. »Im Augenblick vermag ich aber nicht zu sagen, wohin wir gehen könnten.«
Eine Pause entstand. Dann meldete sich Tomasio Venduti zu Wort.
»Ein mir bekannter Tuchhändler hat ein kleines Haus am Lago Trasimeno, da geht er immer hin, wenn er sich von den Geschäften erholen will. Dort könntet Ihr alle unterkommen, bis die Gefahr durch die Krankheit vorüber ist.«
»Aber wohnt Euer Tuchhändler nicht selber dort?«, wollte Signora Scroffa wissen.
»Er befindet sich auf einer Reise nach Bologna, dahin ist der schwarze Tod noch nicht gekommen«, antwortete Tomasio.
»Dieses Angebot nehmen wir gerne an«, versetzte Matteo. »Der Lago Trasimeno ist so abgelegen, dass sich dort der Sommer angenehm verbringen lässt. Gleich morgen wollen wir aufbrechen.«
»Ich kann leider nicht mitkommen, so gern ich das möchte«, bedauerte |111| Venduti. »Auf mich warten geschäftliche Termine in Ravenna, die keinen Aufschub dulden.«
Francesco hatte andere Sorgen. Zum ersten Mal seit Stunden richtete er wieder das Wort an Botticelli.
»Sandro?«, fragte er leise. »Du kommst aber mit uns, oder?«
»Ich denke, nicht, Francesco«, erwiderte Botticelli kühl. »Mein Platz ist bei meinen Bildern und meinem Meister Savonarola.«
Alle redeten wild durcheinander.
»Aber Ihr könnt doch nicht in diese pestverseuchte Stadt zurückkehren!« rief Signora Scroffa. Auch Lucas
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