Die Hure Und Der Moench
versuchte Botticelli umzustimmen, aber es half nichts.
»Bitte verlass uns nicht, Sandro«, sagte Francesco.
»Ich kann nicht bleiben«, erwiderte Botticelli. »Es sei denn, du nimmst zurück, was du über Savonarola gesagt hast.«
»Ich nehme alles zurück«, rief Francesco. »Ich entschuldige mich!«
»Na gut, dann erwarte ich, dass du mit mir nach Florenz zurückkehrst.«
»Aber das ist doch lebensmüde! Bitte Sandro, zwing mich nicht zu so einem Wahnsinn!«
»Nun, dann werden sich unsere Wege wohl hier trennen.«
Francesco senkte den Kopf und presste die Lippen aufeinander. Botticelli marschierte wütend zu den Ställen, um seine Abreise vorzubereiten, und hielt sich demonstrativ die Ohren zu, als Francesco ihm verzweifelt hinterherbrüllte: »Du kannst doch deine große Kunst nicht für so einen Esel opfern!«
Die Diener verriegelten die Türen, damit niemand von außen eindringen oder der Wind womöglich die Pest hereinwehen könnte. Den Rest des Tages verbrachte Angelina mit Lesen, doch konnte sie sich kaum konzentrieren, weil ihr immer wieder die Bilder des Massakers vor Augen traten. Francesco war verärgert in seinem Zimmer verschwunden, desgleichen Botticelli. Nach einem kurzen Abendbrot gingen alle frühzeitig schlafen, um für die Strapazen der morgigen Reise gerüstet zu sein.
|112| In aller Herrgottsfrühe machten sich die Familie Scroffa, Angelina, Francesco, Sonia, Lucas und die Dienerschaft auf den Weg ins Arnotal. Angelina kam es vor, als flöhen sie vor dem Krieg. Das Tal war tief eingeschnitten, von Weinbergen und Wäldern gesäumt, ein echter Garten Eden. Sie kamen durch Dörfer, deren Einwohner noch nie etwas vom schwarzen Tod gehört zu haben schienen, so friedlich gingen sie ihrer Arbeit nach. Zweimal übernachtete die Gruppe in Herbergen, die leidlich sauber waren. Vor Arezzo verließen sie das Tal des Arno und gelangten ins Chiantital. In der Ferne war der Himmel heller, gleißender als anderswo.
»Das ist die Spiegelung des großen Sees«, erklärte Francesco. Angelina war es, als herrsche zwischen Francesco und seiner Cousine Eleonore eine große Vertrautheit. Hielt er ihren Arm nicht länger als notwendig, wenn er ihr aus dem Wagen half? Standen die beiden nicht immer wieder tuschelnd und scherzend beieinander? Am Mittag des dritten Tages erreichten sie das Ufer des Lago Trasimeno.
Das Haus des Tuchhändlers befand sich in San Feliciano, unweit vom Ufer des Sees, der eine riesige Wasserfläche umfasste und dessen Wellen sanft ans Ufer spielten. Es erwies sich als flacher, weißgestrichener Bau. Eine dunkelhaarige Dienerin begrüßte sie. Sie sei hier, um das Haus in Ordnung zu halten, erzählte die Frau. Bis zum Nachmittag hatten sich alle in ihren Zimmern eingerichtet. Angelina wusch sich mit dem Wasser, das die Dienerin in einer Schüssel gebracht hatte, und zog ein anderes Kleid an.
Während der Reise war sie ziemlich wortkarg gewesen. Jetzt wollte sie ihre trüben Gedanken abschütteln, ein wenig nach draußen gehen. Das Haus befand sich auf einer Halbinsel, die teils mit Weiden und Erlen bestanden, teils mit Zitronenbäumen und Hibiskus bepflanzt war. Einige Fischerhütten standen nicht weit von dem Gebäude entfernt. Der See lag ruhig in der Abendsonne. Seine Ufer waren flach und kaum besiedelt. Nur einzelne Bauerngehöfte schmiegten sich in die bewaldeten Hänge. Schwäne zogen ihre Bahnen, Enten schnatterten und Libellen flirrten durch das Schilf |113| am Ufer. Das erste Mal seit Tagen, nein, seit Wochen, fühlte Angelina Ruhe in sich aufsteigen. Vielleicht würde es ihr hier gelingen, Ordnung in das Durcheinander zu bringen, in das ihr Leben geraten war. Sie spazierte auf einem schmalen, sandigen Pfad am See entlang und beobachtete die Fischerboote, die zum Abendfang hinausfuhren. Bei einer Gehölzgruppe ließ sie sich auf einem umgestürzten Baum nieder. Lange Zeit saß sie so und schaute der Sonne zu, die allmählich hinter den flachen Hügeln versank. Eine Schar von Kormoranen erhob sich dumpf krächzend in die Luft. Angelina zuckte zusammen. Schritte näherten sich. Es war Matteo, der mit einem Lächeln zu ihr herantrat.
»So einsam, Angelina? Warum seid Ihr fortgegangen?«
»Ich wollte mich einfach nur ausruhen – und die Umgebung kennenlernen.«
Er setzte sich neben sie auf den Baumstumpf.
»Ich darf doch Platz nehmen?«, fragte er. Angelina rückte ein wenig zur Seite.
»Ich bin Euch und Eurer Familie sehr dankbar, dass Ihr mich aufgenommen habt«,
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