Die Hure Und Der Moench
alles wie im Traum. Jeden Morgen ging die Sonne auf, gegen Mittag bezog sich der Himmel mit schwarzen Wolken, die sich am Nachmittag mit Blitz, Donner und sintflutartigem Regen entluden. Die Sintflut hatte Gott gesandt, um die Menschen für ihre Sünden zu bestrafen. Angelina wünschte sich nur noch, gereinigt zu werden, alle Strafen der Welt zu durchleben, wenn sie bloß wieder nach Hause konnte und alles wieder so wäre wie früher. Sie würde mit ihren Eltern und Geschwistern sprechen, tanzen, leben, essen und trinken. Schöne Jünglinge würden ihr den Hof machen. Und doch: Hatte sie nicht gespürt, dass Francesco ihr die gleichen Gefühle entgegenbrachte |126| wie sie ihm? Wahrscheinlich hatte das nichts zu bedeuten, kam ihr plötzlich in den Sinn. Er wird mit jeder Frau, die er malt, in eine Art Beziehung treten. Sobald das Bild fertig ist, ist diese Beziehung vorbei. Und seinen letzten Angaben nach stand es kurz vor der Vollendung, er müsse nur noch einige wenige Pinselstriche ansetzen, hatte er kürzlich gesagt, und dazu brauche er sie als Modell nicht mehr. Also war es vorbei zwischen ihnen beiden. Aber er sollte nur nicht auf den Gedanken kommen, jetzt Eleonore zu malen, in all ihrer schönen, stillen, weißgesichtigen Trauer! Beim Weitergehen liefen Angelina die Tränen über das Gesicht. Wie konnte sie sich nur derart versündigen! Gerade erst war Matteo unter der Erde, und sie stellte sich in Gedanken an wie ein kleines Kind!
Sie lief immer weiter. Schließlich sank sie erschöpft auf einen Weidenstumpf und sah einen Fischer mit seinem Boot auf sich zukommen. Es war ein aus starkem Eichenholz gebauter Kahn. Der Mann war mittelgroß und drahtig. Er trug einen Schnauzbart und die Kappe, die für die Fischer am Lago Trasimeno üblich war. Nachdem er gemächlich das Boot festgemacht hatte, trat er zu Angelina heran.
»Ihr seid traurig, liebes Mädchen?«, stellte er mit einer überraschend weichen Stimme fest. »Weint Ihr um den Herrn, der letzte Nacht ums Leben gekommen ist?«
Bei diesen Worten kamen Angelina erst recht die Tränen.
»Ja, so ist es«, schniefte sie.
»Es heißt, er sei keines natürlichen Todes gestorben«, fuhr der Mann fort. »Gestern Abend habe ich etwas gesehen, was damit zu tun haben könnte.«
Angelina horchte auf. Sie wischte sich die Tränen mit einem Zipfel ihres Kleides aus dem Gesicht.
»Als ich mit meinem Boot vom nächtlichen Fang heimkam«, erzählte der Mann weiter, »sah ich, wie sich eine Gestalt aus Eurem Hause schlich und sich zur Straße nach Chiusi wandte.«
»Habt Ihr ihn erkannt?«, wollte Angelina wissen.
»Nein, es war ja dunkel. Ich erinnere mich, dass eine Lampe vor |127| dem Haus brannte. Aber ich meine erkannt zu haben, dass er die Kleidung der Nobili, der Adligen trug.«
»Habt vielen Dank«, sagte Angelina. »Das kann uns durchaus weiterhelfen.«
»Arrivederci, Signorina«, verabschiedete sich der Fischer, ging zu seinem Boot und schob es ins Wasser. Angelina war ein Stein vom Herzen gefallen. Dann war es zumindest niemand aus ihrem Kreis gewesen. Sie kehrte langsam zum Haus zurück. Wenn hier auch nicht die Pest herrschte, dann waren doch die Mücken, die sie während ihres Spaziergangs zerstochen hatten, eine wahre Plage. Angelina traf Francesco vor dem Eingang des Hauses.
»Ich habe dich schon überall gesucht, Angelina«, sagte er und schaute sie besorgt an. War er besorgt oder tat er nur so, um sie in Sicherheit zu wiegen? Sie hätte sich etwas anderes von ihm gewünscht, dass er sie einfach in den Arm genommen hätte.
»Ich muss mit dir sprechen«, fuhr Francesco mit leiser Stimme fort. »Doch nicht hier, wo uns alle hören und sehen können.«
Was hatte er ihr wohl anzuvertrauen? Dass er seine Cousine Eleonore malen wolle, dass er sie liebte und sie, Angelina, ihm nie etwas bedeutet hätte? Ihr Herz begann schneller zu klopfen. Er fasste sie beim Arm, doch sie zuckte zurück. Er schüttelte kaum merklich den Kopf. In einer Ecke des Gartens standen zwei Korbstühle und ein zierliches Tischchen. Die Diener hatten einen Korb mit Kirschen daraufgestellt. Alle taten, als wäre nichts geschehen.
»Ich möchte mit dir sprechen, Angelina«, begann Francesco abermals, nachdem sie sich gesetzt hatten, »weil zu viel geschehen ist in den letzten Wochen. Dies ist nun schon der zweite Mord, und keiner kann sich erklären, warum diese Taten geschehen oder warum man mich überfallen und verprügelt hat. Gottlob bin ich mit dem Leben davongekommen,
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