Die Hure Und Der Moench
Sandro Botticelli die Werkstatt in der Via Nuova im Haus seines verstorbenen Vaters bezog und schon bald zum Hofmaler der Medici aufstieg. Ich zeigte ihm die |145| Skizzen, die ich heimlich nachts angefertigt hatte. Und er nahm mich in die Lehre! Anfangs durfte ich ihm die Leinwand grundieren, die Farben anrühren und weniger schwierige Handreichungen machen. Er hat mir gezeigt, wo man die besten Pigmente bekommt. Später ließ er mich eigenständig Porträts von Bürgern und Bürgerinnen der Stadt anfertigen.«
Wie bei mir, dachte Angelina. Das war für ihn eine alltägliche Arbeit.
»Ich hatte Gelegenheit«, fuhr Francesco fort, »die ganze illustre Gesellschaft kennenzulernen. Aber das war vorbei, als Savonarola als Prior von San Marco eingesetzt wurde. Botticelli wurde stark von ihm beeinflusst. Er malte nur noch religiöse Themen. Und auch ich konnte mich dem Einfluss dieses stimmgewaltigen Mönches nicht entziehen. Hat er nicht recht mit vielen Dingen? Immerhin zählt er zu den unbestechlichsten, wahrhaftigsten und bedingungslosesten Menschen, die Florenz jemals erlebt hat. Keiner hat wie er für die Armen der Stadt gesorgt! Als jedoch Savonarola in seinen Reden immer gewalttätiger wurde, als er sich immer mehr dem Papst entgegenstellte, bekam ich Bedenken. Botticelli und ich sprachen häufig über diese Angelegenheit. Ich warf ihm vor, dass er seine Kunst, die ich immer noch anbete und die jedermann in Entzücken versetzt, in den Dienst dieses Klerikalen stelle und damit sich selbst und sein wahres Wesen verleugne. Er gab zurück, dass der Gottesstaat das einzige sei, für das zu malen er berufen sei. So gab oft ein Wort das andere. Bis eine Frau in mein Leben trat.«
Angelina hielt den Atem an. Francescos Blick wandte sich zu den Bergen, die im fernen Mittagsglast verschwammen. Angelina schaute zu Eleonore hinüber. Sie starrte Francesco mit einem Ausdruck in den Augen an, den Angelina nicht zu deuten wusste. Es krampfte ihr schmerzhaft die Brust zusammen. Liebte sie diesen Maler? War es die Begegnung mit der Gräfin Eleonore Scroffa gewesen, seiner Cousine, die sein Leben ein zweites Mal verändert hatte? Angelina saß, unfähig, sich zu rühren, und hörte der Fortsetzung von Francescos Lebensgeschichte zu.
|146| »Diese Frau«, seine Augen streiften Angelina mit einem Seitenblick, in dem viel Wärme lag, »änderte mein Leben ein zweites Mal von Grund auf. Nie habe ich so viel Nähe und Verwandtschaft zu einem Menschen verspürt, schon gar nicht zu einer Frau. Ich will es euch nicht verschweigen, liebe Freunde und Freundinnen, dass ich einige Liebschaften hatte, sowohl mit Damen des Hofes als auch mit Mädchen von der Straße. Aber das bedeutete mir nichts. Meine Kunst soll von jetzt an nur noch der Liebe dienen, der Liebe zwischen Mann und Frau und der zwischen den Menschen.« Angelina fühlte sich wie erlöst. Endlich hatte er sich offenbart, und wie zärtlich er das getan hatte!
»Nur einmal habe ich eine schwere Sünde auf mich geladen«, fügte Francesco an. Er fuhr mit den Fingern durch sein sandfarbenes Haar. Angelina hielt den Atem an. Francesco lächelte.
»Ich liebte eine verheiratete Frau.«
Angelina ballte die Fäuste, um nicht aufzustöhnen.
Eleonore trat mit ausgebreiteten Armen auf Francesco zu und zog ihn an sich. »So etwas kommt vor«, sagte sie verschwörerisch. Angelina hätte im Boden versinken mögen vor Scham und Wut. Eine Windböe strich durch den Garten, ließ die Blätter der Linde erzittern, kühlte ihre Stirn. Sie schloss die Augen. Nur keine Gefühle zeigen. Nicht jetzt. Nie mehr.
Eleonore löste sich von Francesco und stellte sich in die Mitte des Kreises, den sie gebildet hatten, strich sich das blonde Haar aus der bleichen Stirn und begann mit ihrer Erzählung.
»Ich wurde im Jahre 1472 auf einem Gut des Mugello geboren«, sagte sie. »Mein Vater war ein wohlhabender Landbesitzer, der vom Handel mit Wein und ländlichen Gütern lebte. Wir hatten ein sorgenfreies Leben. Wie meine beiden Schwestern erlernte ich das Lautenspiel, las lateinische und griechische Gedichte und gab mich die meiste Zeit meines Daseins dem süßen Nichtstun hin. Wie hätte ich es auch anders wissen sollen? Ich kannte nur diese eine Welt, und das war die des Reichtums und der Schönheit. Als ich heranwuchs, kamen viele Freier zu meinen Eltern, die um meine Hand |147| anhielten, aber keiner war ihnen gut genug. Mir selbst hätte der eine oder andere schon gefallen, aber ich hatte gelernt, den
Weitere Kostenlose Bücher