Die Hure Und Der Moench
nicht verachten. Wer unter solchen Verhältnissen leben musste, der durfte auch von etwas Besserem träumen.
Die Predigten Savonarolas kamen Angelina in den Sinn. Nicht nur von der Sünde hatte er geredet und von den Höllenstrafen, die den Sünder erwarteten, sondern auch von der Sünde des Reichtums. Wer reich war, hatte eine Verpflichtung gegenüber den Armen. Angelina dachte an ihr früheres Leben. Reich war sie gewesen, aber nicht glücklich. Was für ein Geheimnis gab es hier, dem sie nicht auf die Spur kam? Sollte sie ihre Tante fragen? Aber wollte sie es denn überhaupt wissen?
|171| Wie immer fühlte sie sich unwohl bei dem Gedanken. Sie war doch noch ein Kind gewesen, vielleicht neun oder zehn Jahre alt. Was sollte schon gewesen sein? Wahrscheinlich hatte Eleonore recht, und all das würde sich sowieso eines Tages von selber aufklären. Eleonore! Angelina fiel der Augenblick wieder ein, in dem sie Francesco und Eleonore in so vertraulicher Pose miteinander gesehen hatte. Nein, sie würde niemals dorthin zurückkehren, wollte sie nicht mehr sehen! Von ihr aus konnten sie bleiben, wo der Pfeffer wuchs! Was wäre gewesen, wenn sie ihrer Verliebtheit noch mehr nachgegeben hätte? Es wäre ihr womöglich ergangen wie Sonia, die vom Vater ihres Kindes im Stich gelassen worden war. Und sie würde heute, statt bei ihrer Tante zu sein, in einem Dirnenhaus leben. Lieber tot sein, als eine solche Schande zu ertragen! Den Männern war einfach nicht zu trauen. Kaum fühlten sie sich einer Frau sicher oder heirateten sie, gingen sie zu anderen Frauen. Den Ehefrauen blieb nichts anderes übrig, als sich damit abzufinden, denn schließlich konnten sie nicht Gleiches mit Gleichem vergelten. Oder wenn sie es taten, war es in den Augen der anderen ein viel schwererer Frevel, als wenn ein Mann so handelte. Oh nein, ihr würde so etwas nicht passieren.
Vielleicht hatten ihre Eltern doch recht gehabt: Sie wussten besser als ihre Tochter, was gut für sie war. Nein, sie wollte endgültig abschließen mit diesem Leben. Von ihr aus sollte das Bild, das Francesco von ihr gemalt hatte, im hintersten Winkel des Hauses am Lago verschimmeln! Sie wollte nichts mehr davon wissen. Wenn die Erntearbeiter kamen, würde sie in die Stadt zurückgehen und bei ihrer Familie anklopfen. Angelina zählte die Tage, bis der September endlich herum war und fragte jeden, der etwas darüber wissen konnte, wie die Lage in der Stadt sei.
Es war still geworden in der kleinen Gemeinschaft am Lago Trasimeno.
Anfangs hatten die Dorfbewohner noch Lebensmittel gebracht, die sie gegen Geld vor dem Haus ablegten. Lucas schaffte die Vorräte |172| hinein und die beiden Frauen zündeten Feuer mit Myrte und anderen Kräutern an, damit sich niemand ansteckte. Doch die Pest hatte das Dorf bald fest im Griff. Bisweilen wurden Eleonore und Sonia auch zu einem Kranken gerufen, weil der Bader nicht mehr nachkam mit der Versorgung. Doch es half alles nichts. Bald war das Dorf ausgestorben, wen die Seuche nicht dahingerafft hatte, war geflohen. Mit den Früchten der Felder und dem Schlachten des Viehs, das übriggeblieben war, überlebten sie bis in den September hinein. Oft fuhren die Männer mit einem der verwaisten Boote hinaus, um Fische zu fangen. Die Stimmung war jedoch mehr als gedrückt. Keiner spielte mehr auf der Laute, es wurde weder gescherzt, gelacht, noch wurden Ausflüge gemacht. Dumpf brütete das Leben unter der sengenden Sonne dahin.
Endlich wurden die Tage kühler, nach den letzten Gewittern, die mit großer Heftigkeit niedergegangen waren, schien dem Sommer das Genick gebrochen zu sein. Fahrende Händler kamen durch das Dorf und verkauften frische Waren. Einige berichteten, dass die Pest in Florenz zum Erliegen komme und schon einige Familien vom Land zurückgekehrt seien. An einem milden Abend, die Blätter der Linde im Garten hatten sich schon gelb verfärbt, bat Francesco die anderen, sich mit ihm zusammenzusetzen.
»Der Sommer neigt sich seinem Ende zu, liebe Freunde«, begann er, als alle versammelt waren. »Die Pest scheint überwunden zu sein. Zwei Monate ist es her, dass wir hier beieinandersaßen und unsere Lebensgeschichten erzählten. Seitdem ist nichts mehr, wie es vorher war, bei allen hat sich das Leben zwangsläufig verändert. Sagt, habt ihr schon neue Pläne für eure Zukunft gemacht?«
Vom See her kam ein kühler Hauch.
»Das kann man wohl sagen«, meldete Lucas sich zu Wort. »Mit meiner verstorbenen Frau bin ich ins Reine
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