Die Hure von Bremen - historischer Kriminalroman
eines Gesprächs
zwischen ihm und ihrem Vater gewesen. Der Vater wollte wissen, warum Claas sich
nicht langsam eine Frau nahm. Er sagte, dass es für ihn nur eine gebe und die
anderen ihn nicht interessieren würden, auch wenn sich ihm schon viele
Gelegenheiten geboten hätten. Anna wollte zu gern wissen, wer diese eine war,
aber die beiden hatten zu ihrem Bedauern das Thema gewechselt, und so konnte
sie nur ahnen, dass er Clara, die Tochter von Nachbar Wegener, meinte. Auch
jetzt noch zog sich ihr Magen bei dem Gedanken zusammen, Claas könnte Clara
eines Tages heiraten. Er war verschwiegener als früher, weshalb sie ihm auch
das Geheimnis um diese Statue nicht entlocken konnte.
Vor
gut einem Jahr hatten die beiden Männer damit angefangen. Sie schlossen sich in
der Werkstatt ein, und Anna durfte nicht, wie früher, helfen. Ihre Liebe zur
Bildhauerei unterschied sie von den anderen Jungfrauen ihres Alters, die sich
vorwiegend um ihre Kleidung und Kochkünste sorgten. Da diese Dinge sie
langweilten, mied sie die Zusammenkünfte dieser Mädchen schon seit Langem.
»Anna?«
Der Ruf riss sie aus ihren Gedanken.
»Ja,
Mutter?«
»Komm
herunter und mach ein paar Besorgungen auf dem Ziegenmarkt.«
Seufzend
legte Anna die Bürste auf die Truhe und folgte der Aufforderung ihrer Mutter.
Zweimal
die Woche wurde ganz in der Nähe, dort wo die Häuser enger beieinanderstanden,
der Ziegenmarkt abgehalten. Er war längst nicht so groß wie der Markt in Bremen
und auch nicht so voll, aber man bekam, was man brauchte. Sie lebten außerhalb
der Stadtmauern von Bremen, wo noch ein paar wenige Steinmetze und Bildhauer
ihre Werkstätten hatten und das alte Zunfthaus stand. Für Ausgefallenes musste
man jedoch den Fußmarsch durch das Ostertor in der Stadtmauer und zum großen
Marktplatz in Kauf nehmen. Es war immer reges Treiben zu Füßen des
St.-Petri-Doms, dessen Turmspitze man selbst von hier aus sehen konnte.
Vor
einem Jahr, kurz bevor sie mit dieser Statue angefangen hatten, hatte ihr Vater
der Familie erzählt, dass immer mehr Steinmetze in die Stadt zögen, um näher an
den Baustellen zu sein. So ließen sich die Kosten für den Transport der
Rohsteine aus dem Hafen sparen, die dann auch viel schneller bei ihnen wären.
Er wollte gern in ein Haus ziehen, in dem unten die Werkstatt und genau darüber
ihre Wohnung läge. Außerdem könnte er mit den anderen Zunftmitgliedern im
Innenhof des Zunftgebäudes arbeiten. Ihre Mutter machte der Gedanke sehr
unglücklich, und sie gab zu bedenken, welche Nachteile ein solcher Umzug mit
sich brächte: Gestank, Staub, Lärm und viele Menschen. Jetzt lägen das
Fachwerkhaus und Vaters Werkstatt so weit auseinander, dass sie vom Hämmern und
Staub verschont blieben. Meistens arbeite er sowieso im Freien, und nur bei
Regen oder Schnee benutze er das ehemalige Lagerhaus, um vor schlechtem Wetter
geschützt zu sein. Ihr Heim sei seit Großvaters Zeiten im Besitz der Familie.
Mitfühlend hatte ihr Vater eingelenkt und beschlossen zu bleiben, wo sie waren.
Damit nahm er auch weiterhin den mühsamen Transport der Rohsteine und den
langen Weg zu den verschiedenen Arbeitsstellen in Kauf, wobei sich Letzteres
durch die ausschließliche Arbeit an dieser Figur inzwischen erledigt hatte.
Als
Anna den kleinen Platz erreichte, auf dem der Ziegenmarkt abgehalten wurde,
strömten verschiedene Gerüche auf sie ein: nach gerösteten Maronen, frischem
Brot, aber auch nach Schweiß und Unrat. Menschen aus allen Schichten
verhandelten, kauften oder unterhielten sich über die Waren oder sie standen
einfach da und beobachteten andere. Es gab mehrere Stände, die Mehl, Weizen,
Bucheckern oder Honig und vieles mehr anboten, einen Bauern, der Milch
verkaufte, einen Fischhändler, einen Schlachter und einen Stand mit Eiern und
Geflügel. Jetzt zum Winter hin war auch der Bauer mit seinen Rüben dabei. Sie
kannte alle mit Namen, und die meisten kamen hierher, seit sie denken konnte.
Schon als kleines Kind war sie mit Thea, ihrer im Moment abkömmlichen Magd, zum
Markt gegangen.
»Guten
Tag, junge Anna Olde.« Eine männliche Stimme ließ sie herumfahren. Vor ihr
stand, gekleidet in einen teuren Pelz, der Ratsherr Johann Hemeling, mit seiner
ebenfalls in teure Kleider gehüllten Frau am Arm, die Anna offen anlächelte.
Sie war von zierlicher Gestalt, viel jünger als er und mit reichlich Gold und
Geschmeide behangen. Einkäufe der normalen Art erledigten die beiden hier
bestimmt nicht.
»Guten
Tag, Herr und Frau
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