Die Hure von Bremen - historischer Kriminalroman
werden mussten, tat ich eigentlich das meiste, weil Mutter selbst es nicht konnte.«
»Und bei der Geburt deiner Brüder hast du auch geholfen?«
Lena nickte. »Ja, der Stiefvater war meistens noch auf dem langen Weg zur Hebamme aus Riede.«
Marie hob erstaunt ihre Augenbrauen. »Aber bei deinem ältesten Bruder kannst du doch höchstens drei gewesen sein.«
»Er kam fast wie von selbst, ich habe lediglich Wasser geholt und Tücher. Na ja, an den Schultern gepackt und gezogen habe ich auch.«
Lächelnd machten sie mit ihrer Tätigkeit weiter, denn der Junge mit der Wunde wurde langsam zappelig.
Zweimal die Woche war Lena selbst die Patientin, dann untersuchte Marie sie, verordnete mehr oder weniger Bewegung, je nachdem zu welcher Erkenntnis sie kam. Lena genoss die friedliche Umgebung weit vor der Stadt und vermisste – mit Ausnahme von Kora und Dorothea – das Töchterhaus kein bisschen. Nicht mehr Männern zu Willen zu sein, keine Gelage mehr, kein Geschnatter der Mädchen in der Nacht, all das fehlte ihr keinen Deut. Sie erkannte, dass es noch ein anderes Leben geben konnte als das einer Hure. In ihren Tagträumen malte sie sich aus, wie sie hier mit Marie und ihrem Kind leben würde. Wie sie Kräuter pflückten und Salben oder Tinkturen herstellten. Auch Laurenz kam in diesen Träumen vor.
In den letzten Wochen war sie rundlicher geworden, hatte an Gewicht zugenommen. Ihre Schultern waren nicht mehr eckig, ihr Busen viel praller, und die Übelkeit war vollkommen verschwunden. Seit einigen Tagen jedoch war sie gezwungen, nur zu liegen, denn ihr Bauch hatte sich bedenklich gesenkt. Marie befürchtete eine allzu frühe Geburt, wenn sie sich nicht schonte.
In der ersten Zeit hatte Maries Neffe immer nur kurz hereingesehen, die beiden Frauen gefragt, ob sie etwas bräuchten, Holz gehackt, Vorräte gebracht und war dann recht wortkarg wieder verschwunden. Doch seit einer Woche blieb er länger. Er aß sogar mit ihnen, und sie redeten bis spät in den Abend. Er war groß gewachsen, hatte volles dunkles Haar, und kleine Fältchen stahlen sich um seine Augen, wenn ihn etwas amüsierte.
Anfangs hatte sich Lena in seiner Gegenwart seltsam beklommen gefühlt, denn mit einem Büttel wollte keine Hure etwas zu schaffen haben, außerdem war er ein Mann, und von denen hatte sie genug gehabt. So manch ein Büttel verlangte sogar, dass die Mädchen im Töchterhaus sich ihnen freiwillig hingeben sollten, und waren sie nicht willig, drohte er ihnen mit dem Kerker. Frau Margarete hatte erzählt, dass es nicht immer nur leere Drohungen seien. Laurenz war Lena im Hurenhaus nie begegnet, was sie wunderte, und er behandelte sie auch nicht wie eine Hure, sondern wie eine ehrbare junge Frau, und das, obwohl sie schwanger war und einen Bastard gebären würde.
Bei ihrem ersten Wiedersehen hatte sie, wie sie es bei jedem Bürger tat, ihren Blick gesenkt. Doch Laurenz hatte darüber gelacht und ihr versichert, er glaube nicht an den bösen Blick und sie dürfe ihn ruhigen Gewissens ansehen. Von da an nahm Lena ihn von ihren Vorurteilen gegenüber den Bütteln aus.
Verwundert war sie, dass er kein Eheweib hatte. In einem ruhigen Moment fragte sie Marie, warum. Die Heilerin erzählte ihr, dass Laurenz vor einem Jahr seine Braut an die Schwindsucht verloren hatte. Marie war sicher, dass sie ihr hätte helfen können, doch die Eltern, ein Müllerpaar, ließen sie nicht zu ihr, sondern vertrauten einem Pfaffen. Und so schwand das Mädchen dahin und starb. Laurenz war besser mit der Sache fertiggeworden, als sie befürchtet hatte, und hatte sich in seinen Dienst vergraben, er war nur stiller als früher. Seither kümmerte er sich noch mehr um Maries Land, um die Hütte und machte die eine oder andere Besorgung.
An diesem Spätnachmittag saßen sie wieder zusammen und unterhielten sich. Die Sonne ging nun nicht mehr ganz so früh unter und tauchte alles in ein warmes Licht. Laurenz’ Haar wurde durch das Fenster angestrahlt und schimmerte jetzt rötlich, ebenso seine Bartstoppeln.
»Wieso habe ich dich nie im Töchterhaus gesehen?«, wollte Lena von ihm wissen, während sie wie beiläufig das Schaffell glatt strich, unter dem sie lag.
»Bist du immer so geradeheraus, Mädchen? Eigentlich ist das eine Frage, die eine Frau einem Mann nicht stellen sollte.«
»Warum nicht? Du bist ein Mann, und Männer zwickt es hin und wieder zwischen den Beinen.«
Sein Mund ging auf, als wollte er etwas sagen, aber kein Ton kam über seine
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