Die Hure von Bremen - historischer Kriminalroman
Lippen. Er sah aus wie ein Schnappfisch. Hilfesuchend wandte er sich an Marie, die sich mit zuckenden Mundwinkeln erhob.
»Ich werde noch ein paar Setzlinge suchen. Bei Sonnenuntergang ausgegraben, wächst Schafgarbe am besten an.« Sie griff sich ihren Umhang und den kleinen Korb und verließ mit bebenden Schultern die Hütte.
»Vielen Dank, Tante«, rief Laurenz ihr brummend hinterher, der sie sonst Marie nannte, außer wenn sie uneins waren.
»Du musst nicht auf die Frage antworten. Ich fürchte, ich bin wieder einmal zu neugierig und habe ein loses Mundwerk. Aber im Töchterhaus hätten sich die Mädchen sicher über so einen schönen Mann gefreut«, sagte Lena, als sie bemerkte, wie unangenehm die Situation wurde.
»Und außerhalb nicht?«, wollte Laurenz wissen, als er seine Sprache wiedergefunden hatte.
»Bis vor Kurzem gab es für mich kein außerhalb.«
Er strich sich nachdenklich über seine Bartstoppeln. »Ich war ein paarmal dort. Stört es dich?«
»Nein.« Lena zuckte mit den Schultern. »Offenbar sind wir uns nur nie begegnet.«
»Offenbar. Außerdem war ich nicht aus dem Grund dort, den du gerade im Sinn hast. Ich war im Auftrag der Stadt da.«
Eine kleine Meisenfamilie fiel über einen Strauch her und lenkte ihre Aufmerksamkeit auf sich. Mit viel Spektakel hüpften die kleinen Vögel zwischen den Ästen umher, um sich ihr Futter zu suchen. Einer von ihnen spähte neugierig in die Hütte, betrachtete Lena und Laurenz, nur um dann die anderen mit lautem Geschrei zum Aufbruch zu bewegen, worauf die Familie sich über die Büsche am Weg hermachte.
Laurenz sah wieder zu Lena. Sie nahm sich den Becher mit Wasser und trank einige Schlucke.
»Es tut mir leid. Ich habe selten außerhalb des Töchterhauses mit einem Mann gesprochen, nur in meiner Kindheit, und das scheint eine Ewigkeit her zu sein.«
»Du musst dich nicht dafür entschuldigen. Mich hat es ehrlich gesagt eher amüsiert, weil ich es nicht erwartet habe. Wenn du also noch weitere Fragen hast, nur heraus damit. Besser du stellst sie mir als einem Fremden, der es falsch verstehen könnte.« Er lächelte sie jetzt offen an.
»Von einem richtigen Fremden würde ich es nicht wissen wollen, doch du bist nett, und auch wenn du mir noch etwas fremd bist, so kenne ich dich jetzt länger als die meisten Männer.« Lena stellte lautlos den Becher ab. »Aber ich bleibe noch eine Weile, und vielleicht wirst du mir dann nicht mehr fremd sein.« Seine Gegenwart war ihr kein bisschen unangenehm, worüber sie selbst verwundert war. Vermutlich lag es daran, dass sie hier nun keine Hure war oder er sie nicht wie eine behandelte.
»Ich danke dir. Du bist sehr anmutig, Lena. Wir werden uns sicher noch besser kennenlernen. Und vielleicht wirst du ja deine Meinung über Büttel ändern, oder zumindest über mich. Ich glaube, ich sehe die meisten Dinge anders als meine Kameraden.«
»Das habe ich schon bemerkt.« Lena lächelte. »Außerdem habe ich dir nie danken können, dass du mich damals vom Pranger erlöst hast.«
»Dafür schuldest du mir keinen Dank. Du warst es doch, die Marie zu Hilfe kam.« Erneut sah er aus dem Fenster. Er wirkte nachdenklich. »Sie lebt hier draußen sehr einsam, da ist es mir wichtig, nach ihr zu sehen. Und ich bin froh, dass du nun bei ihr bist, zumindest eine Weile.«
»Ich bin gerne bei ihr und habe die Einsamkeit fern der Stadt sogar vermisst. Mit meiner Familie lebte ich etwas abseits von Riede. Nur umgeben von der Natur. Die Enge der Stadt hat mir nie wirklich gefallen. Es stinkt überall, und zu viele Menschen tummeln sich auf einem Haufen. Das ruft viele Krankheiten und Schlechtigkeiten hervor. Neid und Eifersucht erlebe ich täglich. Selbst im Töchterhaus. Nein, ich vermisse es nicht, und außerdem ist Marie ein wahrer Segen.«
»Ja, damit hast du recht. Ich weiß, dass sie dich gerne um sich hat.«
Laurenz erhob sich, wobei der Hocker leise unter ihm knarrte. »Ich lege zum Abend ein paar Scheite nach, dann habt ihr es über Nacht warm. Holz genug liegt hinter dem Haus.«
»Danke.«
»Soll ich warten, bis Marie zurück ist?«
»Nein, brauchst du nicht.«
Nachdem er das Feuer versorgt hatte, blieb er in der Tür noch einmal kurz stehen und betrachtete sie einen Augenblick. »Gute Nacht, Lena.«
»Gute Nacht, Laurenz.«
Damit verschwand er in die Dunkelheit. Lena lauschte, wie seine Schritte sich entfernten. Dann war nur noch das Geraschel der Blätter im Wind zu hören. Sie genoss die friedliche Stimmung.
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