Die Hure von Bremen - historischer Kriminalroman
benutzte. Sie wusste nicht, was sie erwartete, und für einen Moment lauschte sie, ob eine Kinderstimme zu hören war, doch von innen drang kein Laut heraus.
Die Tür wurde geöffnet, und eine Bedienstete sah die beiden Frauen neugierig an. »Ja?«
»Mein Name ist Lena von Riede. Ich bin auf der Suche nach Arbeit und hörte, dass hier die Stelle einer Magd frei wäre. Das ist Frau Regina, sie hat mich herbegleitet.«
Die Frau musterte Lena unverhohlen, dann öffnete sie die Tür etwas weiter. »Hat sich ja rasch umgesprochen. Na kommt schon rinn.«
Die beiden Frauen betraten eine große Eingangshalle. Es war sauber, und die Dielen waren mit Binsenmatten ausgelegt. Die Luft roch nach Kräutern und Rinderbrühe. An der Wand hing eine Zeichnung von einem Paar, bei dessen Anblick Lena einen Stich in ihrem Herzen spürte. Der Mann auf dem Bild war groß, dunkelhaarig und stand hinter einem Stuhl, auf dem eine zierliche Frau saß. Sie trug das Haar offen, und es fiel in langen Wellen über ihre Schultern.
»Waddet. Ich frach.« Die Frau verschwand hinter einer der drei Türen, die von hier abgingen. Es führte eine Treppe in das obere Stockwerk und eine nach unten. Die Fenster hier waren mit dünnen Tierhäuten verhangen, die Läden geöffnet. Zusätzlich steckten Kienspane in Halterungen an den Wänden der Diele, die jedoch zurzeit nicht brannten. Lena lauschte. Von unten drangen das Klappern von Geschirr und leises Gemurmel hinauf.
Und wenn sie dich erkennen? Laurenz’ Worte drängten sich in Lenas Gedächtnis, und plötzlich überkamen sie Zweifel. Was, wenn er damit recht hatte, wenn der Ratsherr womöglich ein Kunde von ihr war oder einer seiner Leute? Immerhin kannte sie mindestens einen Ratsherrn, aber an den wollte sie jetzt nicht denken. Ihr Herz begann zu klopfen, doch für eine Flucht war es jetzt zu spät, denn in diesem Moment trat ein Mann aus der Tür. Unweigerlich zuckte Lena zusammen. Das war der Mann auf dem Bild, und er hatte in etwa die Statur von Maries Mörder. Seine grauen Schläfen verliehen ihm ein würdiges Aussehen. Die Augen waren graublau. Gemäßigten Schrittes kam er auf sie zu.
»Datt is datt Mädchen, Herr Stadtrat.« Die Magd trottete hinter ihm her und deutete auf Lena.
»Guten Tag.« Lena machte einen Knicks.
»Sei gegrüßt, Jungfer …?«
Lena schluckte schwer, befürchtete einen Moment, gar nichts anderes sagen zu können, als dass dieser Mann ein Mörder war. Seine Stimme allerdings löste nicht auf Anhieb den erwarteten Schrecken bei ihr aus, auch wenn sie irgendwie ähnlich klang wie die des Mörders in ihrer Erinnerung. Vielleicht klang er anders, wenn er böse und aufgeregt war.
»Nun, wie heißt du, mein Kind?«
»Lena, Herr Stadtrat Mindermann.« Sie war froh, dass sie ihre Sprache wiedergefunden hatte. Langsam erhob sie sich, hielt den Blick jedoch gesenkt.
»Lena«, wiederholte er und nickte Regina kurz zu. »Herr Mindermann reicht als Ansprache. Wie ich von Helene höre, möchtest du als Magd für uns arbeiten. Was hast du denn bis heute gemacht?«
»Ich habe kürzlich meine Familie verloren, und nun muss ich Geld verdienen«, log Lena.
»Das tut mir leid.« Er legte ihr seine Hand kurz auf den Arm. Die Berührung war ihr unangenehm, und sie wunderte sich über eine derartige Vertrautheit. »Danke, Herr Mindermann, aber mein Stiefvater war kein guter Mensch. Um ihn bin ich nicht traurig.«
»Das sind sehr offene Worte.« Er knetete seine Finger. »Komm doch erst einmal herein. Dann sehen wir weiter. Deine Begleitung kann gerne hier warten.«
Er führte sie in eine Schreibkammer voller Regale, in denen sich neben Schriftrollen auch zwei Bücher befanden. Lena hatte noch nie zuvor eins gesehen und betrachtete die Bände einen Moment. An der verbliebenen Wand war ein Kamin eingelassen, doch das Feuer war aus. Darüber hing ein großes Dokument mit einem Wappen und dem Kaisersiegel. Verschiedene Federkiele, zwei offene Tintenfässchen und diverse Pergamente waren auf einem blank polierten Tisch verteilt, den passende Stühle mit weichem Polster zierten.
Der Ratsherr setzte sich und bot ihr mit einer Geste den anderen Stuhl an. Der Raum war heller als die Diele. Es brannte neben einigen Talglichtern ein langer Kienspan, wodurch sie den Mann besser sehen konnte. Erleichtert stellte Lena fest, dass sie ihn zumindest nicht aus dem Töchterhaus kannte.
Als sie Platz genommen hatte, verschränkte er seine Hände vor sich auf dem Tisch und knetete seine mit Tinte
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