Die Hure von Bremen - historischer Kriminalroman
verschmierten Finger erneut, ganz so, als plagten ihn Schmerzen. Es erinnerte Lena an die Hände von Frau Margarete.
»Eigentlich müsste meine Frau mit dir sprechen, aber sie ist nicht da. Erzähl mir doch einfach, was du alles kannst.«
»Gerne. Meine Mutter hat mir beigebracht, was im Haus wichtig ist. Ich kann die Wäsche waschen, das Haus sauber halten, kochen, nähen, Holz hacken, das Vieh versorgen, Unkraut –«
Lächelnd hob der Ratsherr seine Hand, um sie zu unterbrechen. »Ich nehme mal an, dass es ausreichend ist, um es mit dir zu versuchen.« Er lächelte. »Die meisten von deinen Kenntnissen wirst du hier nicht brauchen. Aber wer weiß, vielleicht kommt es meiner Gattin ja eines Tages in den Sinn, sich Schweine zu halten. Dann haben wir wenigstens jemanden, der sich damit auskennt.«
Lena stutzte bei der Bemerkung, sagte aber nichts.
»Wenn du keine Familie mehr hast, wessen Mündel bist du dann?«
»Niemandes Mündel.«
»Dann wirst du jetzt unser Mündel sein, bis du vermählt bist.«
Lena nickte, obwohl ihr dabei der Schweiß ausbrach.
»Unter dem Dach sind eure Kammern. Helene wird es dir gleich zeigen. Wir gehen sonntags gemeinsam zur Messe, ebenso an den Feiertagen. Ihr nehmt eure Mahlzeiten unten in der Küche ein. Alles andere erklärt Helene dir, und wenn ich noch etwas vergessen habe, wird die Hausherrin es dir sicher mitteilen. Wir erwarten sie in zwei Tagen zurück.«
Schnell stellte sich heraus, dass besagte Helene für die persönlichen Belange der Mindermanns zuständig war. Statt ihrer führte die Magd Rosa sie herum. Sie hatte eine längliche Kopfform und überdimensionale Nasenlöcher, dazu etwas zu groß geratene Zähne. Sie war von freundlichem Wesen, zeigte Lena das Haus und erklärte die Gepflogenheiten.
Es gab zwei Badezuber, einen für die Herrschaften und einen, den sich das Gesinde teilte. Einmal die Woche musste jeder ein Bad nehmen, ansonsten wusch man sich am Brunnen hinter dem Haus. Dass Lena inzwischen andere Reinigungsgewohnheiten hatte, verschwieg sie lieber. Die Mägde und die Köchin schliefen in einer Kammer unter dem Dach. Sie hatten eine kleine Feuerstelle für den Winter. Die männlichen Dienstboten schliefen in einer Kammer neben der Küche, die im Keller lag.
Lena fragte Rosa nach Kindern, doch die Magd erklärte mit ehrlichem Bedauern, dass den Ratsleuten das Glück bisher nicht hold war. Frau Mindermann hatte wohl ein paar Fehlgeburten gehabt und eine kleine Tochter verloren, als diese ein Jahr alt war. Kinder gab es also keine im Haus. Da sie sich bei der Stimme des Ratsherrn ganz und gar nicht mehr sicher war, fragte Lena sich, was sie jetzt noch hier sollte. Den Rundgang würde sie noch abwarten und dann mit Regina dieses Haus verlassen.
Im Haushalt gab es insgesamt sieben Dienstboten und zwei Stallknechte. Gleich neben dem Haus befand sich ein kleiner verträumter Rosengarten, dessen Sträucher bereits die ersten Knospen trugen und bei voller Blüte wunderschön sein mussten. Dahinter lag der Stall, den sie jetzt betraten. Ihre Augen mussten sich erst an das dämmrige Licht gewöhnen, ehe sie ihre Umgebung erkennen konnten. Sofort fiel Lena der Sattel auf, der über einem Holzbalken hing. Es war so einer, wie sie ihn bei Marie auf dem Pferd gesehen hatte. Ihr Herz hämmerte in ihrer Brust. Also war sie hier doch richtig. Neugierig schaute Lena in den ersten Pferdeständer, doch er war leer.
»Magst du Pferde?«, fragte Rosa.
»Ja«, sagte Lena und wandte sich dem zweiten zu. Und tatsächlich, hier stand ein rabenschwarzes Pferd, das sie mit seinen großen Augen aufmerksam ansah. Wie gebannt stand Lena da, bis das Pferd sie mit seiner samtweichen Nase an der Hand anstupste und aus ihren Gedanken riss.
»Nun solltest du ihm etwas zu fressen geben.« Rosa reichte Lena einen alten Apfel.
»Danke«, sagte Lena wie in Trance. Mit der flachen Hand hielt sie den Apfel, und das Pferd nahm ihn behutsam auf und begann genüsslich zu kauen.
»Komm, nun hast du Freundschaft geschlossen, aber wir haben noch einiges, was ich dir zeigen muss.«
Lena nickte. Wenn sie herausfinden wollte, wo ihr Kind war, musste sie bleiben.
Sie verabschiedete sich von Regina, die ihr viel Glück wünschte und sich auf den Weg machte.
Erst als Regina außer Sicht war, fiel Lena ein, dass Laurenz nicht Bescheid wusste, wo sie war. Sie hatte nun allerdings erst einmal keine Möglichkeit, ihn zu benachrichtigen. Sie hoffte, dass er ahnen würde, wohin sie gegangen war, und
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