Die Hure von Bremen - historischer Kriminalroman
und die Hunde liefen frei im Hof herum, jagten hin und wieder eine Katze und bewachten aufmerksam das Areal. Die einfachen Soldaten mussten erst ins Dorf, um an ihre Pferde zu kommen. Das Dorf schien nur als Burgerweiterung zu dienen. Beinahe alles, was in der Burg keinen Platz fand, war dort zu finden, ob Tuchmacher, Schreiber oder verschiedene Handwerker wie der Schmied oder Zimmermann.
Auf der Burg selbst wurde derzeit rund um die Uhr gefeiert, und nicht selten sah man betrunkene Soldaten mit einer Magd oder einem Mädchen aus umliegenden Töchterhäusern, die eigens zur Unterhaltung hergebracht wurden, in irgendwelche Kammern verschwinden. Manch ein Mann vergriff sich auch an anscheinend ehrbaren Mädchen, doch auch das wurde stillschweigend geduldet. Sollte ihr ein Mann zu nahe kommen, wüsste Lena sich ihrer Haut zu wehren.
Am folgenden Tag begannen die Vorbereitungen für das Abschiedsfest, und unter dem Gesinde wurde es hektisch, und die Laune war gereizt. Es wurde geschlachtet und ausgeweidet, was die Jäger und Bauern an Tieren brachten. Männer hatten die Aufgabe, das Fleisch von den Knochen zu lösen und es dann in die Küche zu bringen. Dort wurden verschiedene Gerichte zubereitet. Manches wurde mariniert und gewürzt und manches blieb halb roh. Brot wurde gebacken, Gebäck hergestellt, Kompott gekocht. Den ganzen Tag wurden die Feuer geschürt. Da das Fest bereits am nächsten Mittag beginnen sollte, herrschte geordnetes Durcheinander.
Als die Gäste schlafen gingen, wurde die große Halle geschrubbt, mit frischen Binsen ausgestreut und dekoriert. Dazu wurden bunte Tücher aufgehängt, Talglichter ausgetauscht und neue Fackeln in die Halter gesteckt sowie Zweige mit buntem Herbstlaub aufgehängt. Als Lena abends im Bett lag, tat ihr jeder Knochen im Leib weh. Ihrer Mutter ging es ebenso. Auch sie gehörte zu den Frauen, die auf dem Fest die Speisen auftragen würden.
Am nächsten Morgen bekamen sie Kleider von Frau Gudrun. Sie waren Lena etwas zu groß. Die Frau, der es vor ihr gehört hatte, musste eine enorme Oberweite gehabt haben.
»So schlimm ist es nicht«, sagte Judith, nachdem sie Lenas Kleid hinten fester zusammengezogen hatte.«
»Ach, mir ist es egal, wie ich aussehe. Je hässlicher, desto besser. So habe ich wenigstens meine Ruhe vor den Mannsbildern.«
Lena betrachtete ihre Mutter, als diese sich ihr Kleid anzog. »Dein Kleid scheint aber aus dem vorherigen Jahrhundert zu stammen.« Sie kicherte.
»Ja, eine Augenweide ist es nicht grade, aber ich will damit ja auch keinen Mann gewinnen«, lachte Judith.
»Warum eigentlich nicht? Mutter, du bist zu jung, um alleine zu bleiben.«
»Sicher wird der Graf irgendwann jemanden bestimmen. Vielleicht als Gefälligkeit für einen seiner Lehnsleute. Ich mache mir darüber erst einmal keine Gedanken.«
Dass ihre Mutter es so leicht nahm, einfach einen Fremden heiraten zu müssen, war für Lena unvorstellbar. »Warst du nie verliebt?«
Ihre Mutter errötete bis zum Haaransatz. »Doch, Lena, das war ich mal.« Sie seufzte. »Aber das ist lange her.«
»Wer war er?«
Ihre Mutter zog sich die Schuhe an und betrachtete ihren Fuß. »Deinen Vater habe ich geliebt.«
»Oh.« Lena griff sich ebenfalls ihre Sandalen und schlüpfte hinein. »Du hast nie über ihn geredet.«
»Wegen deinem Stiefvater nicht.«
»Erzähl mir von ihm.« Lena war nun neugierig geworden.
Der Blick ihrer Mutter schweifte in die Ferne, als sie zu erzählen begann: »Es war hier auf der Burg, das weißt du ja bereits. Meine Mutter brachte mich in diesen Haushalt, als ich …« Sie betrachtete Lena einen Augenblick. »… ein oder zwei Jahre jünger war als du. Er, also dein leiblicher Vater, war damals ein junger Ritter. Später hat der Graf ihm übrigens einige Ländereien übergeben.« Sie seufzte tief.
»Alle Mädchen waren von ihm angetan, doch er hat immer nur mich angesehen.« Die Augen der Mutter begannen zu glänzen, während sie weitererzählte. »Damals war die erste Magd die alte Hulda. Sie war sehr mütterlich mit uns jungen Dingern. Sie hat gesehen, was los war, und mich gewarnt. Sie sagte, er würde mich nie heiraten können, selbst wenn er wollte. Nur in Schande könnte ich mit ihm zusammen sein. Ich sagte ihr, dass er mir seine Liebe gestanden hätte und mit mir fortgehen wollte. Hulda fragte mich, ob ich wirklich sein Leben zerstören wollte. Darauf habe ich mir einen Mann, deinen Stiefvater, vom Grafen zuweisen lassen. Ich beichtete ihm sofort, dass
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