Die Hure von Rom - Walz, E: Hure von Rom
kommt man darauf immer als Erstes. Mir ging es damals genauso. Aber das war es nicht – wie ich erst begriff, als ich eines Nachmittags zu meiner Mutter wollte und seltsame Geräusche hörte, die aus ihrem Zimmer kamen. Ich klopfte nicht, sondern öffnete die Tür vorsichtig einen Spaltbreit. Ohne dass man mich bemerkte, steckte ich meinen Kopf ins Zimmer. Ich sah meine Mutter und Maddalena, wie sie sich küssten. Sie waren halb entkleidet.«
Antonia, die mit Milos Haaren gespielt hatte, hielt inne. »Signora A und Maddalena haben sich – sie hatten eine …«
»Eine fleischliche Beziehung. Für mich erklärte sich daraus sehr viel, beispielsweise wieso meine Mutter nach meiner Geburt
nie wieder eine Beziehung zu einem Mann hatte, und natürlich, wieso Maddalena mich immer so voller Aufmerksamkeit betrachtete. Ich war der Sohn ihrer Geliebten, und ich war ahnungslos. Offiziell blieb ich das auch. Weder zu Maddalena noch zu meiner Mutter habe ich je ein Wort darüber verloren, was ich gesehen habe. Du bist die Erste, die es erfährt.«
Er warf ihr einen liebevollen Blick zu.
»Weißt du, wie lange sie die Beziehung fortsetzten?«, fragte sie nachdenklich.
»Ich wüsste nicht, dass sie beendet worden wäre. Nach jenem Nachmittag habe ich sie über die Jahre verteilt noch dreioder viermal in vergleichbarer Situation zusammen gesehen, meist versehentlich, und immer so getan, als würde ich nichts kapieren. Im Lauf der Zeit nahm Maddalena mir gegenüber eine Rolle ein, die der einer Tante gleichkam – oder einer lieben Stiefmutter. Kurios, denn sie war ja in meinem Alter. Sie beschenkte mich zu Namenstagen und an Weihnachten, sie sorgte dafür, dass meine Mutter mir etwas mehr Aufmerksamkeit zukommen ließ, und sie war es, die vorschlug, ich könne mich im Teatro gegen Bezahlung nützlich machen. Das alles zeigt mir, dass meine Mutter und Maddalena gewissermaßen ein Paar waren, wenn auch ein ungewöhnliches.«
»Aber Maddalena war mit Männern zusammen – sagte mir zumindest deine Mutter.«
»War sie ja auch. Sie war jahrelang eine Hure wie alle anderen.«
»Und gleichzeitig mit deiner Mutter liiert?«
»Das wundert dich nur, weil du weder meine Mutter noch Maddalena so gut kennst wie ich. Maddalena war ehrgeizig, und meine Mutter hat diesen Ehrgeiz respektiert, denn immerhin ist sie Geschäftsfrau. Sie hat alles dafür getan, dass Maddalena als Konkubine vermittelt wurde – was keine der beiden daran hinderte, sich weiterhin zu treffen. Nachdem Kardinal
Quirini Maddalena eine Wohnung besorgt hatte, ging meine Mutter beinahe täglich dorthin, und auch nach Maddalenas Einzug in die Villa auf dem Gianicolo sahen sie sich oft, sowohl im Teatro als auch in der Villa. Erst in den vergangenen drei, vier Monaten wurden die Treffen seltener.«
»Haben sie sich gestritten?«
»Davon weiß ich nichts. Es war wohl eher eine Entfremdung, denn, wie gesagt, sie trafen sich noch gelegentlich. Meine Mutter ist in letzter Zeit stiller geworden, weniger scharfzüngig. Ich glaube, sie war bedrückt wegen …«
Es klopfte, und Antonia hob überrascht den Kopf, so als sei sie aus einem Traum geweckt worden. Dieses schummerige Zimmer, dieses Bett, das Zusammensein mit Milo, all das war wie eine eigene Welt, eine Insel für zwei Menschen, auf der man fast vergessen konnte, dass es da draußen noch eine andere Welt gab. Zufrieden stellte Antonia fest, dass es Milo offensichtlich so ging wie ihr, denn auch er sah für einen kurzen Moment verwirrt aus. Ihre Zweisamkeit, die erste gemeinsame Stunde, war vorüber.
Eine weibliche Stimme rief: »Antonia, bist du da?«
»Das ist Mutter«, sagte Milo. »Sie will dich bestimmt fragen, ob du am Ausschank hilfst. Ich mache auf.«
»Nein, lass besser mich gehen.«
Er sah belustigt aus. »Soll ich mich unter dem Bett verstecken?«
Sein Humor steckte sie an. »Ich will nur nicht, dass sie einen Schrecken kriegt.«
»Weil du und ich zusammen sind? Daran wird sie sich gewöhnen müssen.« Er sagte das in allem Ernst. »Wenn es nach mir geht, sind wir ein Paar.«
Antonia war nicht in der Lage, etwas zu erwidern, sie fühlte nur Freude und Glück. »Willst du dir nichts anziehen?«, fragte sie.
»Mutter hat mich schon tausendmal nackt gesehen.«
Er öffnete die Tür.
Signora A rief: »Milo! Wieso …?«
Dann trat tiefes Schweigen ein. Milo stand unbeweglich in der geöffneten Tür und blickte auf den Gang. Antonia raffte die Decke vor ihrer Brust zusammen und beugte sich bis zum
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