Die Hure von Rom - Walz, E: Hure von Rom
Sandro. Nicht viele Männer beherrschten die Kunst, den Mund zu halten, wenn es geboten war, doch die beiden standen sich darin in nichts nach. Sie hatten noch andere Gemeinsamkeiten: ihre schwierige Jugend, ihre Tiefgründigkeit, ihre Liebe zu Antonia … Doch anders als Sandro zeigte Milo seine Liebe, brachte sie zutage. Er küsste Antonia, er drang in sie ein, er sagte offen, was er wollte und was er nicht wollte.
Er war der bessere Sandro.
Sie erschrak über diesen dämlichen Gedanken, der weder dem einen noch dem anderen Mann schmeicheln konnte und keinem gerecht wurde. Besserer Sandro! Was sollte das? Unangenehm berührt, unterband sie derlei Vergleiche und brach das Schweigen.
»Warst du je verliebt?«
»Ich bin es heute.«
Die Antwort gefiel ihr. »Und vor heute?«
Er veränderte seine Position und lehnte sich mit dem Rücken an das Kopfteil des Bettes. Das durch das Fenster hereinströmende Dämmerlicht überzog seinen Körper mit aschfarbenem Schimmer. Milo war nach innen konzentriert, so als betrachte er neugierig seine letzten Jahre, sein ganzes Leben.
»Ich habe sehr lange damit gewartet, bis ich mich zum ersten Mal einer Frau genähert habe. Das war vor etwa drei Jahren. Weißt du, es ist nicht einfach für einen jungen Mann, der im Hurenhaus aufwächst. Die Nacktheit, die Schreie, die Spuren der Nächte – wenn man von so viel Erotik umgeben ist, bekommt sie etwas Wuchtiges. Die Erotik hat mich eingeschüchtert und auf Abstand gehalten. Und auf den Gedanken, dass es
noch etwas anderes geben könnte, bin ich überhaupt nicht gekommen. Ich glaubte, es gehe überall so zu wie bei uns.«
»Die Welt als Hurenhaus.«
»Ja, ungefähr so. Wie hätte ich an Liebe glauben können? Ich wurde auf einer Brücke gezeugt, einem Bauwerk, das dazu dient, es möglichst schnell zu überqueren. Abend für Abend strömten Männer in mein Zuhause, die Gefallen daran fanden, ihre Frauen zu betrügen. Und die Frauen meiner Kindheit und Jugend waren allesamt Huren, die vergessen hatten, dass es Liebe und Liebesqualen gibt. Ich mochte weder die Männer noch die Huren. Nein, auch die Huren nicht. Sie redeten mich mit Süßer und Schätzchen an, und wenn sie mich mit einem Mädchen sahen, riefen sie herüber, ob ich sie schon flachgelegt habe.«
»Klingt grauenhaft. Waren alle Huren so?«
»Nein, es gab Ausnahmen. Carlotta war so eine, die eher still war. Wir redeten wenig miteinander, aber ich sah ihr an, dass sie mich mochte, und manchmal ermahnte sie die anderen Huren, mich in Ruhe zu lassen. Nicht einmal meine Mutter hat das für mich getan. Meine Mutter hat mich im Grunde aufgezogen wie eine Pflanze: gelegentlich gießen und fertig. Sie war nicht kalt oder abweisend oder so. Sie war einfach nur teilnahmslos, was mich anging. Das Teatro war ihr ein und alles. Da fällt mir ein: Eine andere Hure, mit der ich gut auskam, war ausgerechnet Maddalena.«
»Wieso sagst du ›ausgerechnet‹?«
»Weil sie …«
Er stand auf, ging um das Bett herum und entzündete eine Öllampe auf Antonias Nachttisch. Dann setzte er sich auf die Bettkante und ließ sich nach hinten fallen, sodass sein Kopf nun auf ihrem Bauch lag.
»Vor sieben Jahren, ich war achtzehn Jahre alt, kam Maddalena ins Teatro . Anfangs war sie für mich nur eine von vielen,
die hier strandeten. Sie sah aus wie die anderen, hat sich benommen wie die anderen, hatte dasselbe Wesen wie die anderen: ein bisschen traurig und ein bisschen gemein und verdorben. Nach einer Weile aber ging etwas mit ihr vor. Sie wandelte sich, hob sich langsam von den anderen ab. Sicherlich hing es auch damit zusammen, dass ihr Körper anmutig wurde, und ihr Wesen alles Grobe verlor. Was aber wirklich dahintersteckte, war etwas anderes: Intelligenz. Maddalena war hochintelligent. Sie lernte mit rasender Geschwindigkeit, und zwar nicht nur, wie man sich Männer fängt, sondern auch so praktische Dinge wie Rechnen und Schönschrift. Sie half meiner Mutter schon bald bei der Führung der Bücher. Gleichzeitig veränderte sich die Art, wie sie mit mir umging. Vorher hatte sie mich so wenig wahrgenommen wie ich sie, doch plötzlich sah sie mich mit anderen Augen an. Ich kann es schwer beschreiben, denn wir hatten nach wie vor wenig Umgang und besprachen nur das Nötigste. Es war etwas in ihrem Blick – Neugier, Interesse, auch etwas Ironisches.«
»Du wirst mir doch jetzt nicht erzählen, dass du und Maddalena – dass ihr beide …«
Er lachte auf. »Nichts dergleichen. Natürlich
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