Die Hure von Rom - Walz, E: Hure von Rom
so, als hätte er die Frage nicht gehört. Das zu seinem Namen passende, engelhafte Gesicht leuchtete mild und glatt im Widerschein der Flammen, aber Sandro fand, dass es auch etwas Kantiges, Energisches hatte, ja, dass es sehr viel mehr verbarg, als es offenlegte, so als lebe ein völlig anderes Wesen in ihm.
Er stand wieder vom Bett auf, ging zu einer Kommode und holte Krug und Becher hervor.
Angelo kam zu ihm. Seine Augen verrieten kein Missfallen, dennoch meinte Sandro, Missfallen zu spüren.
Er schenkte sich ein, trank, schenkte sich erneut ein und trank. Dann sagte er: »Gute Nacht, Angelo.«
In seinem Kopf spürte er den immer mächtiger werdenden Alkohol. Er sank auf sein Bett und ließ Gedanken und Wünsche zu, die er sich sonst verbot. Keine Abwehr mehr. Der Wein hielt ihn seit Monaten fest im Griff, der Wein hatte die Stelle Gottes eingenommen, und dazu gehörte auch, ihn zur Wahrheit zu zwingen. Zumindest sich selbst gegenüber. Die Wahrheit war, dass er wusste, warum er trank.
Am Anfang, gleich nachdem er nach Rom gekommen war, hatte er sich eingeredet, er trinke, weil er nichts zu tun bekam, weil seine Hoffnung, interessante Aufträge zu bekommen, sich nicht erfüllte. Weil er seine bisherige Aufgabe und sein Leben inmitten seines Ordens verloren hatte und stattdessen in ein Umfeld aus Missgunst und Misstrauen geraten war, in eine Giftküche, in der er sich nutzlos, deplatziert und gefangen fühlte.
Doch das war nicht der Grund. Rom war nicht schuld an seiner Misere.
Dann hatte er lange Zeit geglaubt, es liege an ihr, an Elisa, seiner Mutter. Als Kind hatte er sie geliebt wie niemanden sonst, er hatte sie angebetet. Und sie hatte ihn angebetet. Zwischen ihr und ihm hatte es eine intensive Beziehung gegeben, intensiver als Elisas Beziehung zu Sandros Schwestern und Sandros Beziehung zu seinem Vater. Innerhalb einer wohlhabenden, an Konflikten armen Familie gehörten er und sie, Sandro und Elisa, in besonderer Weise zueinander.
Dann, vor acht Jahren, hätte er beinahe getötet. Er hatte versucht zu töten, hatte den Dolch in einen anderen Menschen gestoßen, zusammen mit seinen Freunden, jungen, gelangweilten,
leichtfertigen Kaufmannssöhnen wie er. Nur ein glücklicher Zufall rettete das Opfer. Das Verbrechen blieb geheim, aber Elisa gegenüber gestand er es ein, und das veränderte alles. In Elisas Leben stand nur ein Wesen höher als Sandro, und das war Gott. Im Zweifel hielt sie zu Gott, nicht zu ihrem Sohn. Elisa drängte ihn, in einen Orden einzutreten, um dort Vergebung zu finden, sagte ihm, er müsse es tun, das sei ihr ausdrücklicher Wunsch, ihr letzter Wunsch an ihn. Und er war nicht imstande, ihr diesen Wunsch abzuschlagen, denn das hätte bedeutet, jeden Tag mit ihrer Missbilligung und Distanziertheit zu leben.
Seither hatte er sie nicht mehr gesehen. Auch schrieben sie sich nicht. Er hatte keine Vorstellung davon, wie sie reagieren würde, wenn er zu ihr ginge. Vielleicht hatte er bisher keine Verbindung zu ihr aufgenommen, weil er sich auf diese Weise einreden konnte, dass sie ihm vergeben und ihn nicht völlig aus ihrem Herzen gestoßen hatte. Doch Elisa, das spürte er, war ebenfalls nicht der Grund, warum er trank.
Nein, der Grund trug einen anderen Namen, doch statt dass er ihn aussprach, nahm er lieber einen Mund voll Wein, und gleich danach noch einen, so als wolle er den Namen ertränken.
Er merkte, wie er im Rausch versank, wie er einschlief, unterging.
Zweiter Tag
4
Sein Auftraggeber nannte ihn Todesengel. Zu Anfang hatte er diesen Spitznamen pathetisch und wenig originell gefunden. Mittlerweile mochte er ihn. Er passte. In Todesengel steckte genau das, was er tat und was dabei in ihm vorging.
Er war ein Mörder. In zehn oder zwanzig Jahren würde er vielleicht noch etwas anderes sein, ein Vater, ein Ehemann, aber in seinem Alter... Natürlich vertrieb er sich die Tage nicht nur mit Töten – das wäre ja absurd. Er hatte eine Tätigkeit, aber die zählte nicht, weil er sich nichts aus ihr machte. Mörder dagegen, das war er gerne.
Das Töten selbst jedoch mochte er nicht. Jeder, dem er das gesagt hätte, würde verständnislos den Kopf geschüttelt haben. Wie konnte man gerne Mörder sein, aber das Morden nicht mögen? Nun, es war ungefähr dasselbe, wie wenn jemand gerne Priester war, aber das Zölibat nicht mochte, oder den Weihrauch oder das Singen. Der Mord an sich war keine angenehme Sache. Der Augenblick, in dem ein Mensch eines gewaltsamen Todes
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