Die Hure von Rom - Walz, E: Hure von Rom
das Zimmer betrat, stützte Carlotta sich mit der einen Hand auf einen Stuhl und mit der anderen auf den Rahmen eines Gemäldes, das sie von der Wand abgenommen hatte. Es zeigte die »Schlummernde Venus« von Giorgione.
»Humor kann man Maddalena nicht absprechen«, sagte Carlotta. »Ein Geheimfach hinter der Venus, das hat Stil. Drei Dukaten, bitte.«
Tatsächlich zeichnete sich, wenn man genau hinsah, ein feiner, quadratischer Riss von der Größe eines kleinen Fensters in der Wand ab.
»Wie – wie habt Ihr das so schnell gefunden?«
»Oh, das war einfach. Ich habe alle Bilderrahmen auf Abnutzungserscheinungen geprüft, und die Venus war die einzige Kandidatin, die auf einer bestimmten Höhe leicht abgegriffen war. Kein Wunder, bei einer römischen Liebesgöttin … Scherz beiseite. Seht Ihr hier: Die Farbe des Rahmens ist an der Stelle verblichen, an die Maddalena griff, wenn sie das Bild abnahm.«
»Ihr seid genial.«
»Ja, und wie alle Genies werde ich mit ein paar lumpigen Dukaten abgespeist.«
»Ihr kriegt das Zehnfache. Ich könnte Euch küssen.«
Sie lachte. »Das kostet weitere drei Dukaten – mindestens.«
Er trat an die Wand heran und befühlte das Quadrat, das sich, wenn er sich auf die Zehenspitzen stellte, knapp über seinem Scheitel befand. Es klappte auf, wenn man auf einen der Ränder drückte.
»Habt Ihr schon in das Fach hineingesehen?«
»Ich werde mich hüten. Vielleicht hat sie ja eine Otter da drin einquartiert.«
»Das glaube ich kaum«, sagte Sandro und schob seine Hand in das Fach hinein. »Ich spüre Leder – und Papier. Und noch etwas Metallisches, eine Kassette, glaube ich. Au, verflucht.«
Er zog die Hand zurück, der Daumen war eingerissen. »Verflucht«, schimpfte er noch einmal und schüttelte die Hand, als könne er den Schmerz abschütteln. Der Daumen blutete, wenn auch nicht schlimm. »Ich habe in irgendetwas Spitzes gefasst.«
»Steigt hier drauf«, sagte sie und rückte den klobigen Stuhl zurecht. »Ich habe ihn aus dem Wohnraum geholt, um das Bild abnehmen zu können.«
Er stieg auf die Stuhlkante und sah in das Fach, dessen Innenraum ungefähr zwei Ellen im Quadrat maß. Der Inhalt bestand aus fast einem Dutzend mittelgroßer Münzsäcke sowie einer Schmuckkassette und einigen zusammengerollten Schriftstücken. An einer Stelle stand ein Nagel aus der Wand hervor – vermutlich nicht als kleiner Wächter, sondern er war lediglich ungeschickt eingeschlagen worden.
Sandro reichte Carlotta die Gegenstände einen nach dem anderen hinunter, und als das Fach leer geräumt war, stieg er vom Stuhl herab und setzte sich zusammen mit Carlotta auf das Bett. Um sie herum lagen die Dinge, die Maddalena teuer und wichtig genug gewesen waren, um sie zu verstecken.
Als Erstes öffneten sie die Kassette. Sie enthielt ausschließlich
Schmuck aus klaren, blau funkelnden Saphiren, in Silber eingefasst: Ringe, Ketten, Ohrringe, Armreife … Alles war eher schlicht gearbeitet, ohne großartige Verzierungen, und gerade dadurch geschmackvoll. Sandro konnte sich diesen Schmuck gut an Maddalena vorstellen – die Halskette »Augusta« passte hervorragend dazu.
Die Münzsäcke aus schwarzem Leder waren mit den Objekten gefüllt, für die sie gefertigt worden waren: hübsche, gülden blinkende Münzen, ausnahmslos Dukaten.
»Wie viel«, fragte Carlotta beeindruckt, »schätzt Ihr, befindet sich insgesamt in den Säcken.«
»Zwischen viertausend und fünftausend – Dukaten wohlgemerkt, keine Denare. Für die Summe kann man sich eine Villa wie diese kaufen – oder dreißig Jahre bescheiden leben, je nachdem, was man vorzieht.«
»Das sind bestimmt keine Ersparnisse von Hurenlöhnen.«
»Nein, das glaube ich auch nicht.«
Carlotta wies auf die Schriftrollen wie auf ein Geheimnis unmittelbar vor der Aufdeckung. »Darf ich …?«
»Gerne.«
Carlotta entrollte das erste Dokument. »Es handelt sich um eine Kaufurkunde«, sagte sie. »Aber nicht für irgendwas.«
»Was hat sie denn gekauft?«
»Das Teatro . Seht her, sie hat tatsächlich das Teatro erworben, und zwar vor etwa vier Monaten. Es wurde ja immer spekuliert, wem das Haus gehörte, denn die Signora war nur die Vorsteherin, und sie allein wusste, wer der Inhaber ist. Hier steht es: Es gehörte einem Kaufmann aus Parma, und Maddalena hat es ihm im Dezember für eintausendachthundert Dukaten abgekauft.«
»Offensichtlich«, scherzte Sandro, »hat sie es der Signora nicht zu Weihnachten geschenkt.«
Carlottas Blick fiel
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