Die Hure von Rom - Walz, E: Hure von Rom
auf die anderen Schriftrollen, von der
eine notariell gesiegelt war wie ein Testament. »Wenn das so weitergeht«, sagte sie, »wird das noch eine äußerst erkenntnisreiche Nacht.«
Sandro war allein in der Villa, allein mit Maddalena, ihrem Tod und ihrem Wein. Er hatte Carlotta gedankt, sie verabschiedet und ihr eine Wache zur Begleitung mitgegeben. Als sie noch bei ihm gewesen war, war er froh über ihre Anwesenheit, aber jetzt, wo sie fort war, war er froh über ihre Abwesenheit. Das langsame Eintauchen eines Trinkers in seine Krankheit zelebrierte er besser allein.
Heute zum letzten Mal, sagte er sich – und trank.
Er hatte ein kleines Feuer im Kamin gemacht und saß nun am Tisch, vor ihm ein halbleerer Krug und ein Kelch, die wie Leuchttürme aus der zerklüfteten Landschaft der Papiere hervorragten, und er überlegte, inwieweit diese Papiere ein neues Licht auf den Fall warfen.
Maddalena hatte in den vergangenen Monaten eine ganze Reihe von Unternehmungen gekauft: eine Weberei in Pisa, einen Weinberg auf Sizilien, ein bewirtschaftetes Stück Land einschließlich einiger Getreidemühlen in Küstennähe – und das Teatro . Das Testament war achtzehn Monate alt, als alle diese Unternehmen und Ländereien noch nicht gekauft waren – die Käufe waren vier bis sechs Monate alt. Vor ungefähr sechs Monaten also war der Reichtum mit der Plötzlichkeit eines Danaeregens über Maddalena gekommen. Sie hatte ihn für einige Einkäufe verwendet, wobei ihr der Sinn mehr nach Handwerksbetrieben und bäuerlicher Landwirtschaft stand als nach sinnlichen Preziosen. Das passte zu ihrem Verstand, den alle, die Maddalena gekannt hatten, an ihr hervorhoben. Sie war dabei gewesen, sich eine Zukunft als wohlhabende, erfolgreiche und unabhängige Frau aufzubauen, und sie setzte jenen Menschen als Erben ein, der sie gefördert hatte. Signora
A war die Alleinerbin der Unternehmen, Ländereien und des gefundenen Geldes – exakt fünftausend Dukaten -, wobei die Inbesitznahme des Teatro aus Sicht der Signora sicherlich das Erfreulichste an dieser Erbschaft war. Jemand, der wie sie ein Leben lang einem Haus und einer bestimmten Idee diente, möchte dies irgendwann sein Eigen nennen.
Interessant war, dass Maddalena etwa eine Woche vor ihrem Tod den Entwurf für ein neues Testament geschrieben hatte. Das Dokument hatte keine Rechtsgültigkeit, denn es war an einigen Stellen korrigiert, und außerdem hatte sie es nicht unterzeichnet. Offensichtlich sollte es lediglich als Vorlage für einen Notar dienen. Der Name der Begünstigten war schon eingesetzt: Porzia. Ein Nachname stand nicht dabei. Wenn Maddalena nur ein paar Tage später gestorben wäre, dann …
Er schenkte sich Wein nach und trank. Der Rausch griff langsam nach ihm, erfasste seinen Kopf. Dennoch vermochte Sandro noch immer klar zu denken, ja, es schien ihm, als würde der Wein heute Abend seine Konzentrationsfähigkeit erhöhen, ihn unbefangener machen und seine Fantasie beflügeln. Mit dem Kelch in der Hand spazierte er durch die Räume und ging den ganzen Fall noch einmal durch, der vor drei Tagen in dieser Villa begonnen und sich seither zu einer wahren Hydra entwickelt hatte, bestehend aus einem riesigen Leib aus Zahlungen, Leidenschaften und Sünden, die alle miteinander verbunden schienen.
Trient, dachte Sandro, war eine Kleinigkeit dagegen gewesen. Und damals hatte er die Hilfe Antonias gehabt.
Auf der Terrasse schlug ihm ein angenehmer, frühlingshafter Wind entgegen, der vom Tiber heraufwehte. Ein guter Ort für ein Liebespaar, dachte er. Der beste Ort. Auf Einsame wirkte er dagegen deprimierend.
Sein Zorn wuchs. Zweimal innerhalb weniger Tage von Antonia gedemütigt zu werden, das war …
Als er sich gegen die steinerne Brüstung lehnte, spürte er die Schriftrolle, die der Papst ihm ausgehändigt und die Sandro in der Soutane verstaut hatte. Er holte sie hervor. Lange betrachtete er dieses vom Mond beschienene Dokument, nur unterbrochen von einem gelegentlichen Schluck aus dem Kelch.
Schließlich brach er das päpstliche Siegel und öffnete die Rolle. Antonia erhielt hierin den Auftrag für die Fenster der Kirche Santo Spirito nahe dem Vatikan. Sehr bedeutend, ein guter Auftrag, eine Kirche wie geschaffen für Antonias fantastische Gebilde.
Er zerriss den Auftrag, zerriss ihn in hundert Teile. Die Schnipsel warf er in den Wind und sah ihnen nach.
Letzter Tag
30
Eine kleine Kirche außerhalb der Stadtmauern nordöst- E lich von Rom war
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