Die Hure von Rom - Walz, E: Hure von Rom
ausersehen, die Gebeine der Maddalena Nera bis zum Jüngsten Gericht aufzunehmen. Auf dem Sarkophag, der in aller Eile, aber aus bestem Marmor hergestellt worden war, stand lediglich: »Donna Maddalena« und »Resquiescat in pacem.« Die Geliebte des Pontifex war im Tod – zumindest den Buchstaben nach – zur Donna, zur Herrin, erhoben worden. Vom Deckel des Sarkophags hob sich ihr steinernes Antlitz wie eine Totenmaske ab.
Alles fand unter größter Geheimhaltung statt. Die Kirche war ausgesucht worden, weil hier so gut wie nie Messen gehalten wurden, denn es gab weder eine Kirchengemeinde noch eine Pilgerstätte. Zudem trug sie den Namen eines unbekannten Heiligen, der niemandes Schutzpatron war, weshalb kaum ein Mensch es für wert hielt, hier zu beten. Deswegen war auch die kleine Krypta leer. Noch nie war jemand auf die Idee gekommen, einen Angehörigen hier zu bestatten, und solange Julius lebte, würde es auch dabei bleiben. Außer Julius waren nur noch Bruder Massa und – auf Wunsch des Papstes – Sandro anwesend. Die Totenmesse war anstrengend. Der steinalte Priester der Kirche geriet mehrmals durcheinander, was vermutlich der Tatsache geschuldet war, dass gewöhnliche Priester so gut wie nie den Pontifex zu Gesicht bekamen, schon gar nicht, um sakrale Handlungen vorzunehmen. Je öfter er sich vertat, umso unsicherer wurde er, und am liebsten hätte Sandro ihn aus seinem Desaster erlöst und selbst die
Messe gehalten. Er hatte Mitleid mit dem alten Priester, au ßerdem war eine Messe etwas Heiliges und durfte nicht ins Lächerliche abgleiten, und es war schlicht eine mühselige Angelegenheit, eine ganz Stunde lang gestammeltes Latein anhören zu müssen. Sogar Bruder Massa – sicher kein religiöser Mensch – zuckte bei den Versprechern mit den Augen, so als trete ihm jemand auf die Füße.
Papst Julius III. jedoch verfolgte die Zeremonie mit großer Ergriffenheit. Er bekreuzigte sich, wenn es erforderlich war, er sank auf die Knie und stand wieder auf, wenn der Ritus es vorsah, und mit seinen Lippen formte er stumm jedes Wort der Liturgie nach. Mit seinem aschfahlen, unrasierten Gesicht und den geröteten Augen sah er an diesem Morgen kaum besser aus als die Siechen, die Sandro im Hospital der Jesuiten gepflegt hatte.
Nach dem Ende der Messe verließ der Priester die Krypta. Eine weihevolle, ergreifende Stille kehrte ein. Niemand rührte sich. Die Worte der Liturgie waren verklungen, der Weihrauch löste sich auf. Julius stand vor dem verschlossenen Sarkophag inmitten des Gewölbes. Durch ein Fenster in der Decke strömte Tageslicht herein und warf ein gleißendes Quadrat auf den Papst und den Sarkophag, während Sandro und Massa sich nahe der Wand im Dunkel des Raumes aufhielten.
Plötzlich sank der Papst auf die Knie wie ein Strauchelnder, kippte nach vorn, die Mitra fiel ihm vom Kopf, und nur die Arme verhinderten, dass er mit seinem ganzen Körper zu Boden fiel. Massa wollte zu ihm eilen, doch Sandro hielt ihn zurück.
»Er braucht das jetzt«, flüsterte er.
Massa ignorierte ihn und schob ihn beiseite. Sein Versuch jedoch, dem Papst hochzuhelfen, wurde entschieden abgewiesen. Julius schüttelte heftig den Kopf. »Lass mich«, rief er, woraufhin wieder Stille in die Krypta einkehrte.
Nachdem er sich schließlich unter Mühen erhoben hatte,
fuhr er sich über das Gesicht. Massa reichte ihm die Mitra, doch Julius sah seinen Kammerherrn beinahe verächtlich an.
»Behalt sie«, sagte er. »Hier drin habe ich nicht verdient, sie zu tragen.« Julius atmete tief durch. »Und nun geh, Massa. Geh, lass mich in Ruhe.«
»Soll Bruder Carissimi ebenfalls …«
»Nein«, fiel Julius ihm ins Wort. »Nein, soll er nicht.«
Massa zog sich zurück, ohne Sandro – wie dieser es erwartet hätte – einen feindseligen Blick zuzuwerfen. Als er die Tür zur Krypta von außen geschlossen hatte, sagte Julius, nein, flüsterte er: »Er versteht mich nicht.« Er schwieg, sagte dann: »Niemand versteht mich.« Er schwieg wieder, sagte dann: »Nicht einmal du, da bin ich mir fast sicher, verstehst mich.«
Julius sah Sandro aus seinen eisgrauen Augen an, mit einem Blick, der durch Mark und Bein ging. Nichts Drohendes, nichts Vorwurfsvolles lag darin, sondern blanke Verzweiflung.
»Ich bin allein, Sandro«, sagte er. »Man hasst mich. Man glaubt, Grund dafür zu haben. So viel Hass zu ertragen ist keine leichte Sache. Ich weiß, du hältst mich für kalt und unberechenbar -« Er machte eine Pause, dann lächelte
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