Die Hure von Rom - Walz, E: Hure von Rom
wartete – wartete auf irgendetwas, auf die Entschuldigung eines Menschen, der sie auf der Straße versehentlich angerempelt hatte, auf die Schimpfworte eines Kutschers, vor dessen Wagen sie gelaufen war, auf ein Abflauen des Windes, das die Tür zum Schweigen brachte, wartete auf Erlösung. Oder auf das Gegenteil davon.
Sie öffnete die oberste Schublade des Nachttischs, wo Lauras Rosenkranz und der letzte Brief von ihr lagen wie zwei Glieder, die Carlotta mit einem geliebten Verhängnis verbanden.
Geliebtes Verhängnis, dachte sie. Ja, das war es. Der Rosenkranz und der Brief waren Relikte einer verschwundenen Tochter und Symbole für alles, was danach kam, auch für Carlottas Verbrechen, und für ihre Rache. Sie erinnerten Carlotta sowohl an das Beste als auch an das Schlechteste in ihrem Leben, und an beidem hing sie mit der gleichen Hingabe, so wie Sandro am Wein hing und Antonia an der Lust.
Nun warf sie den Brief und den Rosenkranz auf den Scheiterhaufen der Vergangenheit. Sie wollte gleichsam nackt und gereinigt in ihr neues Leben gehen, ohne einen einzigen Gegenstand aus alten Tagen.
Erneut fuhr sie herum. Als die Tür erbebte, erbebte auch ihr Körper.
Diesmal war es nicht der Wind. Es war eine Hand, die an die Tür pochte.
»Wer ist da?«
Der Wind pfiff durch die Ritzen der Fenster, der Lärm der Piazza drang herauf. Stand ein Mann vor der Tür oder eine Frau? Sie wusste es nicht.
Wie albern, dachte sie. Wie albern, sich vor einem Klopfen zu fürchten. Schließlich war es ja nicht der Tod, der vor der Tür stand.
Sie schob den Riegel zurück.
»Wer ist da?«, rief Carlottas Stimme von jenseits der Tür. Sollte er antworten? Gewiss würde sie öffnen, wenn er seinen Namen nannte, denn sie kannten sich ja. Andererseits bestand die Gefahr, dass jemand in den benachbarten Wohnungen seinen Namen verstand, denn die Wände und Türen in diesen Quartieren bestanden meist nur aus dünnen Brettern.
Er entschied sich, zu schweigen. Nur nicht unruhig werden.
Das Geräusch ihrer Schritte kam näher.
Der Windzug im Treppenhaus verstärkte sich plötzlich, und gleichzeitig waren Stimmen zu hören. Jemand kam die Treppe herauf.
Auf Zehenspitzen eilte er in einen dunklen Winkel, machte sich klein und drückte sich dicht an die Wand.
Als Carlotta die Tür öffnete, war niemand zu sehen. Das fensterlose Treppenhaus lag im Halbdunkel. Erst auf den zweiten Blick bemerkte sie die Katze, die wie ein Besucher vor der Tür stand.
Carlotta lachte in sich hinein. War es möglich, dass Katzen bei einem anklopften? Oder war es doch ein seltsames Spiel des Windes gewesen?
Sie hörte Schritte, die sich von unten näherten, gemischt mit Stimmen. Eine davon gehörte Antonia, die andere einem Mann. Carlotta wartete an der offenen Tür.
Die Katze trottete in einen dunklen Winkel, als gäbe es dort etwas Spannendes zu entdecken. Kurz war Carlotta versucht, dem zutraulichen Tier nachzugehen und es wieder zu sich zu holen.
Doch da kam Antonia, begleitet von Hauptmann Forli.
»Carlotta, da bist du ja«, rief Antonia. »Hast du Zeit? Sandro bittet uns zu sich. Von jetzt an jagen wir den Mörder zu viert.«
34
Über dem Vatikan lag eine Atmosphäre sakraler Feierlichkeit. Hunderte Stimmen aus dem Innern des unfertigen Petersdoms vereinigten sich zu einem gewaltigen Halleluja, als würde versucht, etwas durch Klang zu formen und Wirklichkeit werden zu lassen. So entstand aus dem Nichts ein Etwas, das durch Mark und Bein ging und selbst den Gleichgültigsten mitriss. Dabei war es nur eine Probe für den Gottesdienst, den Julius III. für morgen angeordnet hatte und mit dem er die Beendigung eines weiteren Bauabschnitts des gewaltigsten Kirchenbaus der Christenheit zu feiern gedachte.
Durch die geöffneten Fenster drangen Fanfaren und gewaltige Chöre bis in Sandros Amtsraum. Antonia, abseits der drei anderen stehend, lehnte sich hinaus in die Abendluft. Über dem sich neigenden Tag zogen ein paar flammende Wolken auf, rote Inseln in einem goldenen Licht, in dem der ganze Raum erstrahlte. Gestern, ungefähr zur selben Zeit wie jetzt, hatte sie eine Entscheidung getroffen, eine Entscheidung nicht gegen Sandro, aber für Milo, als sie mit ihm geschlafen hatte. Milo, Milo, Milo: Sie flüsterte den Namen oft vor sich hin, als sei er das Gelobte Land. Sie war glücklich, ihn gefunden zu haben. Ob sie sich auch für ihn entschieden hätte, wenn Sandro kein Mönch wäre, das war eine Frage, der man nie würde auf den Grund
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