Die Hure von Rom - Walz, E: Hure von Rom
Liegt die Lösung überhaupt hier? Oder habe ich nicht richtig gesucht, habe ich etwas Wesentliches übersehen, unsauber gearbeitet? Fehlt uns ein Baustein, ein entscheidender Teil des Gefüges? Mir kommt es so vor. Ich sehe einfach nicht, wie uns diese Dinge, die uns vor Augen liegen, weiterbringen könnten.«
Er raufte sich die Haare, während Antonia, Carlotta und Forli sich Blicke zuwarfen. Antonia kannte diesen unzufriedenen, selbstkritischen, leicht verzweifelten Sandro aus Trient. Sein Anspruch an sich war ungemein hoch, und wenn er
ihn nicht erfüllte, wirkte er wie jemand, der daran zu zerbrechen drohte – ohne dass er tatsächlich zerbrach. In solchen Momenten – wenn er mit sich haderte, wenn er ungeduldig wurde, wenn die Trunkenheit des Vorabends noch in seinem Gesicht stand und er dagegen ankämpfte, wenn er lädiert oder durch irgendein Elend gezeichnet war – fand sie ihn unschlagbar in seiner Anziehungskraft, und sie fragte sich manchmal, ob er diese Wirkung kannte oder zumindest unterschwellig ahnte und sie gezielt einsetzte.
Um sich irgendwie nützlich zu machen, entzündete Antonia Öllampen gegen die anbrechende Dunkelheit. Ihr Blick fiel dabei auf den Lederbeutel auf dem Tisch. Sie nahm ihn und sah hinein.
»Sagtest du nicht, er sei leer?«, fragte sie Sandro.
Er kniff die Augenbrauen zusammen. »Ist er ja auch.«
»So? Und was ist das?« Sie stülpte den Beutel um und präsentierte das Ergebnis auf ihrer Hand: einen winzigen grünen Edelstein, einen geschliffenen Smaragd.
Sandro ergriff ihre Hand. »Das gibt’s doch gar nicht. Ich habe den Stein nicht bemerkt, als ich den Beutel gestern Morgen untersuchte. Er muss sich in einer Falte versteckt haben.«
Forli holte die Edelsteinkette Augusta herbei, und Carlotta durchwühlte die Schmuckkassette Maddalenas.
»Die Kette besteht ausschließlich aus blauen Saphiren, sagte Forli, und Carlotta ergänzte sofort: »In der Kassette befindet sich kein Smaragdschmuck.«
Sandro fiel auf seinem Stuhl zurück und starrte an die Decke.
Forli wagte als Erster, die Stille zu durchbrechen. »Lebt Ihr noch, Carissimi, oder seid Ihr das dritte Mordopfer?« Als Sandro schwieg, stellte er sich neben ihn und schubste ihn an. »Jesuiten sind vielleicht diesen Schweigequatsch gewöhnt, aber uns wird’s langweilig, Carissimi.«
Sandros Blick wanderte an Forlis Gestalt hoch. »O mein Gott«, sagte er. »O mein Gott.«
Sie rannten zu viert durch den Vatikan, über schier endlose Flure, über Treppen und Höfe und an der Pforte vorbei ins Freie. Das letzte Tageslicht war bereits verglommen. Sandro ließ sich vom Pförtner eine Fackel geben, dann zögerte er nicht länger und eilte den anderen voraus. Sie sprachen nicht. Keiner stellte ihm Fragen, obwohl sie nicht verstanden, was ihn umtrieb. Dass sie sofort zu Porzia müssten, das war alles, was er noch gesagt hatte, und dann war er schon halb zur Tür drau ßen gewesen.
Sie nahmen den schnellsten Weg nach Trastevere, ein kurzes Stück über den Borgo San Spirito und dann nach Süden. Die Straße, die am Tiberufer entlangführte, mieden sie, denn sie verlief in einer leichten Biegung und hätte sie ein wenig mehr Zeit gekostet. Zeit, die sie nicht hatten.
Trastevere, bei Nacht ebenso schön wie gefürchtet, erwachte zum Leben, erwachte zu Sünde und Verbrechen. Der Anblick eines Hauptmanns der Wache bewirkte, dass etliche Ragazzi sich in die Hauseingänge verdrückten oder irgendwelche geheimnisvollen Warnrufe ausstießen. Betrunkene machten sich lustig über das seltsame Viergespann, das durch die Gassen des Lustviertels stob.
In der Nähe der Kirche Santa Maria in Trastevere roch die Luft faulig und säuerlich von Erbrochenem, und eine dumpfe Wärme verschlimmerte den Gestank. Das Trastevere im Juli würde eine Vorhölle sein.
»Hier ist es«, rief Antonia, die das Haus wiedererkannte. Als sie in das Treppenhaus rennen wollte, hielt Sandro sie zurück. »Lass mich und Forli vorgehen, es könnte gefährlich werden.«
Antonia wich gehorsam zurück und reihte sich hinter Sandro und Forli ein. Carlotta bildete die Nachhut.
Ohne anzuklopfen, stürmten die beiden Männer in Porzias Zimmer.
Es war menschenleer.
Alle blickten auf Sandro, der den Raum mit seiner Fackel ausleuchtete. Seiner Miene war nicht anzusehen, ob er enttäuscht oder froh oder ratlos war.
Antonia ging zu ihm. »Was hast du erwartet?«, fragte sie. »Wieso sind wir hier?«
Er bückte sich, und als er die Fackel nahe an den Boden
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