Die Hure von Rom - Walz, E: Hure von Rom
das eine oder andere über das hinaus, was wir schon wissen. Wäre doch möglich, oder?«
Antonia nahm die Kupferwanne, goss das mit Blut durchsetzte Spülwasser in den Hof mit den zwei Linden und las die Scherben des Kristallkelches auf.
»Antonia im Hurenhaus. Sandro Carissimi wird platzen vor Wut, wenn er davon hört«, prophezeite Carlotta, und als sie Antonias schelmisches Lächeln sah, fügte sie hinzu: »Das ist ja wohl auch genau das, was du willst, nicht wahr? Es geht dir überhaupt nicht um Porzia.«
»Es geht mir auch um Porzia. Ich bin ein neugieriger Mensch und will wissen, was hinter der Sache steckt. Aber du hast recht: Ich habe keine Lust zu warten, bis der Herr Jesuit sich irgendwann entscheidet, ob er mich nun liebt oder nicht, und falls er mich liebt, wie er mit mir umgehen soll. Also werde ich ihn aus der Reserve locken.«
»Als du ihn heute Morgen aus der Reserve gelockt hast, hat er dir dein Lieblingsfenster zertrümmert, schon vergessen?«
»Es ist nichts mehr da, was er noch zertrümmern könnte.«
»Der Kniff, den du anwendest, ist der älteste der Welt.«
»Und warum ist er wohl so alt geworden? Weil er funktioniert.«
»Ich habe kein gutes Gefühl dabei.«
Antonia berührte Carlottas Schulter. »Sieh mal, Carlotta, ich weiß, dass du es gut meinst und dass du dir Sorgen machst. Wir sind wie Schwestern geworden. Darum weißt du auch, warum ich das tue, worüber wir gerade streiten. Ich habe kürzlich meinen Vater verloren, das war schmerzhaft, doch es ist der Lauf der Welt, und mit dem findet man sich ab. Aber Sandro... Ich bin eine Witwe ohne Leiche, verstehst du? Ich trauere um jemanden, der weder tot ist noch jemals mein Mann oder mein Liebhaber war. Jeden Tag, den ich in dieser Stadt verbringe, fühle ich mich schuldig gegenüber einer Liebe, die unmöglich ist, die mir keine Hoffnung und keinen Körper, kein Versprechen, keine Zukunft gibt. Schuldig gegenüber einem Mönch. Ich habe nur zwei Möglichkeiten, Carlotta: Entweder gebe ich Sandro auf und verlasse Rom – oder ich kämpfe um ihn. Was würdest du an meiner Stelle tun? Was würdest du tun, wenn du – nachdem du mit hundert anderen Männern zusammen gewesen bist – den Mann gefunden hättest, der dir mehr bedeutet als die hundert anderen zusammengenommen?«
Carlotta sah Antonia lange an. Die Schatten der Lindenbäume spielten auf ihren Gesichtern.
»Ich hoffe«, seufzte sie, »du weißt, was du tust.«
10
Der Palazzo der Carissimi lag wie ein gewaltiger Felsen in der Nachmittagsruhe des Esquilinischen Hügels. Die Fassade leuchtete in der Farbe von Gold, unterbrochen von weiß umrandeten Fenstern, deren Glas in der Sonne blitzte. Der einstöckige Palazzo hatte keinen Vorhof, die Eingangspforte grenzte unmittelbar an die Gasse. Sandro erinnerte sich, dass seine Eltern, solange er denken konnte, diese Nähe zur Gasse als großen Missstand betrachteten, gegen den es allerdings, ohne den halben Palazzo abzureißen und nach hinten zu versetzen, kein Mittel gab. Dafür hatten sie die Pforte beträchtlich vergrößert. Früher hatte ihnen eine einfache eichene Doppeltür mit kleinem steinernem Überbau genügt. Heute prunkte dort ein mächtiges Portal aus schwerem Nussbaumholz, das aussah, als könne es mühelos einer feindlichen Belagerung standhalten. Begrenzt wurde das Portal von vier ionischen Säulen, zwei auf jeder Seite, und ein Überbau deutete ein altgriechisches Tempeldach an, auf das jedoch ein neutestamentarisches Fresko gemalt war, so als habe man einen Kompromiss gesucht zwischen antikem Prunk und urchristlicher Bescheidenheit. Überhaupt kam Sandro der Palazzo größer vor als damals, als er ihn vor acht Jahren verlassen hatte, und nach näherer Betrachtung stellte er fest, dass er tatsächlich nach beiden Seiten erweitert worden war, sodass die gesamte Fensterfront auf jedem Stockwerk nun zwölf statt zehn Fenster aufwies. An diesen neu gebauten Außenseiten war sogar noch ein Stockwerk aufgesetzt worden, wodurch zwei kleine, niedrige Türme entstanden waren, über die sich die zahlreichen Nester bauenden Aprilschwalben freuten.
Die übrige Gasse hatte sich anscheinend überhaupt nicht verändert. Zwischen dem schlecht gelegten Pflaster sprossen
Löwenzahn und Gänseblümchen, und zu dieser Nachmittagsstunde lag die Straße bis zur Hälfte im Schatten und bot Kindern eine willkommene kühle Spielfläche. Sandro betrachtete sie kurz, während er und Forli auf den Palazzo Carissimi zugingen, aber was er
Weitere Kostenlose Bücher