Die Hure von Rom - Walz, E: Hure von Rom
unglaubwürdig.«
»Schön und gut, aber was hatte Maddalena gegen die anderen auf der Liste in der Hand? Quirini, beispielsweise, würde sich bestimmt nicht wegen seiner Beziehung zu Maddalena von ihr erpressen lassen. Wenn sogar der Papst sich eine Geliebte nimmt, warum sollte ein Kardinal sich zurückhalten? Er
muss also eine andere Leiche im Keller versteckt haben, und die gilt es, zu finden.«
Eine warnende Stimme in Sandro meldete sich zu Wort. Nicht, dass Quirini völlig unverdächtig wäre, aber Forlis Neigung, sich auf ihn als Täter zu konzentrieren, war Sandro suspekt.
»Ihr überseht«, wandte Sandro ein, »dass außer meinem Vater und Kardinal Quirini noch fünf andere Namen auf der Liste stehen.«
»Und Ihr überseht«, parierte Forli, »dass es sich dabei um stinkreichen Hochadel handelt. Für die sind neuntausend Denare nichts, das habt Ihr vorhin in Bezug auf Euren Vater selbst gesagt. Und einen guten Namen haben die Orsini, die Este, und wie sie alle heißen, kaum zu verlieren, denn die produzieren jeden Monat einen neuen Skandal. Bei Quirini hingegen ergibt alles einen Sinn. Er hat kein großes Vermögen. Er ist Maddalena den Erpresserlohn schuldig geblieben, deswegen fehlt ein Betrag hinter seinem Namen. Und als sie ihm die Daumenschrauben ansetzte, hat er sie umgebracht. Denkt auch an den Fetzen eines kardinalsroten Gewandes, den ich an der Mauer von Maddalenas Garten gefunden habe.«
»Ach ja«, sagte Sandro, »der ominöse Fetzen.« Er war sich keineswegs sicher, ob Forli ihn wirklich gefunden hatte oder ob irgendeine undurchsichtige Machenschaft dahintersteckte. Vorläufig blieb ihm jedoch nichts anderes übrig, als mitzuspielen und sich seine Zweifel nicht anmerken zu lassen.
»Wie es scheint, Carissimi, bleiben nach jetzigem Stand Quirini und Euer Vater als Hauptverdächtige übrig. Ich schlage vor, Ihr kümmert Euch um Euren Vater, und ich kümmere mich um den Kardinal.«
Die Stimme in Sandro schrie mit aller Kraft gegen diesen Vorschlag an.
»Ich halte es für klüger, wenn wir uns nicht aufteilen. Mein
Vorschlag lautet: Wir nehmen uns zunächst Quirini und die Apostolische Kammer vor, aber Ihr lasst durch Eure Polizei ein paar Auskünfte über die Geschäfte meines Vaters einholen.«
»Einverstanden.«
»Gut.« Sie waren am nördlichen Ende des antiken Forum Romanum angekommen, wo sich ihre Wege trennen würden. Forli wohnte neben dem Gefängnis des sechsten Bezirks im Nordosten der Stadt, und Sandro musste nach Nordwesten in den Vatikan. »Heute können wir nichts mehr tun, es ist schon dunkel. Wir treffen uns morgen Vormittag zur zehnten Stunde in meinem Amtsraum und besprechen das weitere Vorgehen.«
»Warum nicht schon bei Tagesanbruch?«
»Ihr vergesst, dass ich Geistlicher bin«, sagte er, und als Forli nicht sofort begriff, fügte er hinzu: »Die Matutin, Forli, das Morgengebet!«
»Verdammtes Knierutschen!«, brummte der Hauptmann und verabschiedete sich in die Dunkelheit.
Die Matutin war nicht der wahre Grund, Forli auf den späten Vormittag zu bestellen. Vorher würde Carlotta vorbeikommen und ihm berichten, was sie herausgefunden hatte, und Sandro war es lieber, wenn Forli vorläufig noch nichts von Carlottas Teilnahme an den Ermittlungen erfuhr.
Sandro nahm nicht den Weg zum Vatikan, sondern ging auf dem Corso in Richtung Norden. Er wollte einfach noch ein wenig durch die sich leerenden Straßen schlendern und Rückschau auf den Tag halten. Gemessen daran, wie desaströs dieser Tag begonnen hatte, hätte man den Ausklang versöhnlich nennen können. Sandro war von seiner Mutter mit offenen Armen empfangen worden, er hatte sich mit ihr ausgesprochen und hatte ihre Wärme gespürt. Ihre Zerbrechlichkeit hatte ihn tief bewegt, aber er hatte das Gefühl, dass seine Anwesenheit
sie getröstet hatte. Nach all den Jahren, in denen er geglaubt hatte, er sei die Ursache ihres Unglücks, fühlte er sich jetzt von einer Last befreit, da er wusste, dass in Wahrheit sein Vater ihr das Leben zur Hölle machte. So sehr Sandro das Gespräch mit seiner Mutter genossen hatte, so sehr hatte er auch das anschließende Gespräch mit seinem Vater genossen – wenngleich auf eine ganz andere Weise. Es hatte ihm gutgetan, diesem Mann, der ihn früher so oft einen Versager genannt hatte, gegenüberzusitzen, ihn aus einer Position der Stärke heraus zu befragen und ihn gewissermaßen anzuklagen, als sei er ein Sünder vor dem Inquisitionstribunal. Die Lust, die Sandro dabei empfunden
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